I. Typische Fälle eines Zuwendungsverzichts
Rz. 52
Ein Zuwendungsverzicht nach § 2352 BGB ist nur dann von Bedeutung, wenn der Erblasser an eine Verfügung von Todes wegen gebunden ist, also dem Bedachten die Zuwendung nicht einseitig durch abweichende letztwillige Verfügung wieder entziehen kann. Der häufigste Fall einer solchen Bindung ist gegeben bei einem wechselbezüglichen gemeinschaftlichen Testament nach dem Tod eines der Ehegatten, wenn gem. § 2271 Abs. 2 BGB für den Überlebenden eine Selbstbindung an seine eigenen Verfügungen von Todes wegen eingetreten ist.
Rz. 53
Der Zuwendungsverzicht bewirkt nicht die Unwirksamkeit der Verfügung, auf die verzichtet wird. Durch den Zuwendungsverzicht als abstraktes Verfügungsgeschäft wird vielmehr die betreffende Verfügung von Todes wegen im Umfang des Verzichts "ihrer Wirkung entkleidet". Aufgrund des Zuwendungsverzichts unterbleibt der Anfall der Zuwendung, wie wenn der Bedachte den Erbfall nicht erlebt hätte. Dabei ist anerkannt, dass sich ein Zuwendungsverzicht nicht auf die Zuwendung insgesamt beziehen muss. Möglich ist nach herrschender Ansicht vielmehr auch ein teilweiser, also eingeschränkter Zuwendungsverzicht, insbesondere dahingehend, dass durch ihn Beschränkungen und Beschwerungen des Bedachten, etwa durch Vermächtnisse, Auflagen, die Anordnung der Testamentsvollstreckung oder der Vor- und Nacherbfolge, zugelassen werden. Es ist also nicht erforderlich, durch einen umfassenden Zuwendungsverzicht erst die bindende Verfügung komplett zu beseitigen, um anschließend neu in modifizierter Form testieren zu können.
Rz. 54
Fraglich ist, inwieweit eine Ersatzerbenregelung von einem Zuwendungsverzicht betroffen sein kann und ob ein Ersatzerbe an dem Zuwendungsverzichtsvertrag beteiligt werden muss. Soll bspw. ein anderer Ersatzschlusserbe bestimmt werden oder die Ersatz-schlusserbeneinsetzung von bestimmten Bedingungen abhängig gemacht werden, so kann hierin eine Beeinträchtigung des Ersatzschlusserben i.S.v. § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB liegen, da sich hierdurch die Rechtsstellung des bindend Bedachten (Ersatzschlusserben) verschlechtert. Sollte der Ersatzfall – Vorversterben des Schlusserben oder Ausschlagung – eintreten, dann wäre folglich nicht der primär eingesetzte Schlusserbe, sondern der Ersatzschlusserbe zur Schlusserbfolge berufen.
Rz. 55
Denn infolge einer etwaigen Beeinträchtigungswirkung wäre die neue Verfügung nur dann unwirksam, wenn die Ersatzschlusserbeneinsetzung erbrechtlich bindend erfolgt ist. Die Ersatzerbenregelung müsste daher wechselbezüglich i.S.v. § 2270 BGB sein. Die Wechselbezüglichkeit ist, sofern die Verfügung von Todes wegen dazu keine Aussage enthält, für jede Verfügung gesondert durch Auslegung nach den allgemeinen Grundsätzen zu ermitteln. Erst wenn die individuelle Auslegung kein eindeutiges Ergebnis ergibt, könnte auf die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB zurückgegriffen werden. Handelt es sich beim eingesetzten Schlusserben um eine familienfremde Person, bspw. eine karitative Einrichtung, fehlt es regelmäßig an der Wechselbezüglichkeit, da das besondere Näheverhältnis des § 2270 Abs. 2 Var. 2 BGB in der Regel nicht gegeben sein wird. Lediglich im Einzelfall kann dies anders sein, wenn eine besondere Nähebeziehung zur Organisation bzw. Einrichtung vorliegt, bspw. weil es sich um eine von den Ehegatten gemeinsam errichtete Stiftung (quasi ihr Lebenswerk) handelt.
Rz. 56
Erklärt sich der Schlusserbe nicht zu einem vollständigen Zuwendungsverzicht bereit, kann zugunsten des überlebenden Ehegatten auch eine weniger einschneidende Regelung notariell vereinbart werden. Beispielsweise kann der Schlusserbe den überlebenden Ehegatten nur punktuell, etwa nur insoweit befreien, dass er die Möglichkeit erhält, die künftigen Erben mit Vermächtnissen oder mit Auflagen und Anordnungen zu beschweren. Auch sonstige Beschränkungen des Zuwendungsverzichts sind denkbar – so auf einen von mehreren Berufungsgründen oder auf den ideellen Bruchteil der Erbeinsetzung. Dagegen ist jedoch ein gegenständlich beschränkter Zuwendungsverzicht bzgl. einer Erbeinsetzung wegen des Grundsatzes der Universalsukzession ebenso wenig zulässig wie ein gegenständlich beschränkter Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht. Ein unzulässiger gegenständlich beschränkter Zuwendungsverzicht kann jedoch ebenso wie ein unzulässiger gegenständlich beschränkter Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht in einen Verzicht auf einen ideellen Bruchteil umgedeutet werden.
Beispiel
EM und EF, die die beiden gemeinsamen Kinder A und B haben, errichten formwirksam ein Berliner Testament, das einen Anfechtungsverzicht nach §§ 2281, 2079 S. 2 BGB enthält.
Kurze Zeit später verstirbt EF. EM wird Alleinerbe, die Erbeinsetzung zugunsten der Kinder A und B wird für ihn gem. § 2271 Abs. 2 BGB bindend. EM heiratet ein zweites Mal, in dieser zweiten Ehe werden zwei Kinder, C und D, geboren.
EM, A und B wollen erreichen, dass EM seine Testierfreiheit in vollem Umfang wieder erlangt.
Alle Beteiligten haben ihren gewöhn...