Rz. 62
Nach Art. 3 Abs. 1 lit. d i.V.m. lit. b EuErbVO hat ein Erbverzicht den Rechtscharakter einer Verfügung von Todes wegen und nicht den eines Rechtsgeschäfts unter Lebenden, er ist also keine Verfügung von Todes wegen im Sinne des Haager Testamentsübereinkommens weil dieses nur für Testamente und nicht auch für andere Verfügungen von Todes wegen gilt. Deshalb gilt für solche Verträge Art. 27 EuErbVO. Im Hinblick auf die materielle Wirksamkeit gilt Art. 25 Abs. 1 EuErbVO. Diese rein erbvertragliche Sichtweise hat Auswirkungen auf das zugrunde liegende kausale Rechtsverhältnis, vgl. dazu unten Rdn 66.
Rz. 63
Der Verzichtsvertrag ist nach EuErbVO ein – negativer – Erbvertrag. Deshalb gilt Erbvertragsrecht.
Dies hat insbesondere Folgen in Bezug auf die Testierfähigkeit (Geschäftsfähigkeit) und die Anfechtbarkeit wegen Motivirrtums. Für ein Rechtsgeschäft unter Lebenden gelten für die Anfechtbarkeit §§ 119 ff. BGB, für eine Verfügung von Todes wegen §§ 2078 ff., 2281 BGB.
Für Erbfälle, die seit 17.8.2015 eingetreten sind, gilt gem. Art. 21, Art. 83 Abs. 1 und Art. 84 EuErbVO das Recht des Staates, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Somit ist Ausgangspunkt des objektiv bestimmten Erbstatuts (konkretes nationales Erbrecht) in Art. 21 Abs. 1 EuErbVO die Anknüpfung der Rechtsnachfolge von Todes wegen allgemein an den letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers.
Rz. 64
Das anzuwendende Erbvertragsstatut ist geregelt in Art. 25 EuErbVO. In Bezug auf die Zulässigkeit, materielle Wirksamkeit und die Bindung eines Erbvertrags bestimmt Art. 25 Abs. 1 EuErbVO, dass die Zulässigkeit, die materielle Wirksamkeit und die Bindungswirkungen eines Erbvertrags, der den Nachlass einer einzigen Person betrifft, einschließlich der Voraussetzungen für seine Auflösung, dem Recht unterliegen, das nach der EuErbVO auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwenden wäre, wenn diese Person zu dem Zeitpunkt verstorben wäre, in dem der Erbvertrag geschlossen wurde.
Nach Art. 21 Abs. 1 EuErbVO ist damit – vorbehaltlich der Ausweichregelung in Art. 21 Abs. 2 EuErbVO – grundsätzlich das Recht anzuwenden, in dem der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat bzw. das Recht, das der Erblasser nach Art. 22 EuErbVO gewählt hat.
Rz. 65
Gem. Art. 25 Abs. 3 EuErbVO kann der Erblasser für die Zulässigkeit, die materielle Wirksamkeit und die Bindungswirkungen eine eigene Rechtswahl zugunsten seines Staatsangehörigkeitsrechts treffen (zu unterscheiden von der Rechtswahl bzgl. des anzuwendenden nationalen Erbrechts, Art. 22 ff. EuErbVO).
Ein Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts seitens des Erblassers ändert also nichts an der Wirksamkeit oder der Bindungswirkung eines Erbvertrages, hier des Erb- bzw. Pflichtteilsverzichts.