Rz. 22

Ein schriftlicher VA ist schriftlich zu begründen,[19] wobei hier die wesentlichen tatsächlichen (Sachverhalt) und rechtlichen Gründe (Subsumtion der einschlägigen Norm) mitzuteilen sind. Bei Ermessensentscheidungen soll (d.h. grundsätzlich "muss") die Behörde auch die Gesichtspunkte benennen, von denen sie bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. Wann es ausnahmsweise einer Begründung nicht bedarf, ist in § 39 Abs. 2 VwVfG festgehalten.

 

Rz. 23

Die Nachholung der Begründung ist im Rahmen der §§ 39 Abs. 1, 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VwVfG möglich. Dabei geht es rein formal um die Frage, ob überhaupt eine Begründung gegeben wurde. Es geht nicht um die Frage, ob eine abgegebene Begründung inhaltlich tragfähig ist. Eine insofern fehlende Begründung führt – ungeachtet der Möglichkeit nach § 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VwVfG – zur formellen Rechtswidrigkeit des VA.

 

Rz. 24

Beim Nachschieben von Gründen geht es darum, dass eine zunächst formell ordnungsgemäß gegebene Begründung (§ 39 Abs. 1 S. 1 VwVfG) durch eine inhaltlich andere Begründung ergänzt oder ersetzt wird.[20] Dabei kann auch ein Austausch der Ermächtigungsgrundlage in Betracht kommen.[21]

 

Rz. 25

Ein Nachschieben von Gründen ist nur dann zulässig, wenn die nachträglich vorgebrachten Gründe schon bei Erlass des streitigen VA vorlagen, dieser durch sie nicht in seinem Wesen geändert und der Kläger nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird.[22]

 

Rz. 26

Nach § 114 S. 2 VwGO kann die Behörde ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des VA auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen. Mit dieser Vorschrift soll entsprechend der Rspr. des BVerwG klargestellt werden, dass die Verwaltung auch noch während des gerichtlichen Verfahrens materiell-rechtlich relevante Ermessenserwägungen in den Prozess einführen kann.[23] Die Ergänzung von Ermessenserwägungen durch die Behörde nach § 114 S. 2 VwGO ist mit dem so umschriebenen Regelungsgehalt verfassungsrechtlich unbedenklich.[24] Die Zulässigkeit der Ergänzung von Ermessenserwägungen bestimmt sich allerdings nicht allein nach § 114 S. 2 VwGO. Sie ist zunächst nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht zu überprüfen. Sind dort keine Gründe ersichtlich, die der nachträglichen Ergänzung von Ermessenserwägungen entgegenstehen, so ist zu untersuchen, ob das Nachschieben von Gründen dem Verwaltungsverfahrensrecht entspricht.[25] Ist die Zulässigkeit einer Ergänzung von Ermessenserwägungen nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht und dem Verwaltungsverfahrensrecht zu beurteilen, hat § 114 S. 2 VwGO nur die Bedeutung, dass einem danach zulässigen Nachholen von Ermessenserwägungen prozessuale Hindernisse nicht entgegenstehen.

 

Rz. 27

Wie das Prozessrecht unter bestimmten Voraussetzungen Klageänderungen zulässt, also eine Änderung des Streitgegenstandes im laufenden Rechtsstreit ermöglicht, so kann es auch eine Ergänzung des angefochtenen VA durch nachgeschobene Ermessenserwägungen zulassen. Dies hat die verwaltungsprozessuale Folge, dass eine der Vorschrift entsprechende Ergänzung der Ermessenserwägungen nicht zu einer Änderung des Streitgegenstandes führt, so dass sie weder eine Klageänderung noch die Durchführung eines erneuten Widerspruchsverfahrens erforderlich macht. Unter Beachtung dieser Grundsätze verstößt das Nachschieben von Ermessenserwägungen im Verwaltungsprozess weder gegen verfassungsrechtliche Grundsätze noch gegen das Gebot eines fairen Verfahrens. Der jeweilige Kläger kann auf ergänzende Erwägungen der Behörde reagieren und die Ergänzung der Ermessenserwägungen kann nach einer etwaigen Erledigterklärung des Rechtsstreits bei der Kostenentscheidung berücksichtigt werden.[26]

 

Rz. 28

Auch im Rahmen der Anforderung eines Gutachtens zur Fahreignung spielt die Begründung eine Rolle. So ist die Aufforderung zur Begutachtung unter anderem nur dann rechtmäßig, wenn sie die dem Betroffenen zur Last gelegten Umstände eindeutig und nachvollziehbar darlegt.[27] Erfüllt eine Aufforderung im Einzelfall diese Voraussetzung nicht, so bleibt es der Behörde unbenommen, sie durch eine neue Aufforderung mit der Begründung zu ersetzen, dass zwischenzeitlich zu Tage getretenes weiteres Material begründete(re)n Anlass zur Annahme der Ungeeignetheit biete. Das Verfahren kann dann von neuem beginnen.[28]

 

Rz. 29

Eine unberechtigte Aufforderung zur Gutachtenbeibringung kann aber nicht dadurch "geheilt" werden, dass die Behörde nachträglich – etwa im Gerichtsverfahren – darlegt, objektiv hätten seinerzeit Umstände vorgelegen, die Anlass zu Zweifeln an der Fahreignung hätten geben können.[29]

 

Hinweis: Wichtig

1. Ermessenserwägungen dürfen ergänzt werden. Das bedingt aber, dass eine Ermessenserwägung stattgefunden hat. Ein Erkennen und Abwägen der unterschiedlichen Entscheidungsmöglichkeiten muss sich aus der Begründung oder den Akten ergeben.
2. Eine noch nie stattgefundene Ermessensausübung kann nicht ergänzt werden. Ein solches Nachschieben ist ein unzulässiges Nachschieben von Gründen.
 

Rz. 30

Unbenom...

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