aa) Fälligkeit beim Tod des Längerlebenden
Rz. 12
Für die steuerliche Beurteilung der Fälligkeit eines Vermächtnisses ist die Regelung des § 6 Abs. 4 ErbStG zu beachten. Danach werden (erst) beim Tod des Beschwerten (Längerlebenden) fällige Vermächtnisse wie Nacherbschaften behandelt. Es greift also die erbschaftsteuerliche Fiktion des § 6 Abs. 2 S. 1 ErbStG, wonach bei Eintritt der Nacherbfolge derjenige, auf den das Vermögen übergeht, den Erwerb als vom Vorerben stammend zu versteuern hat (siehe § 8 Rdn 138>). Die Vermächtnisse sind also als Erwerb vom überlebenden Elternteil zu versteuern. Folglich liegt insoweit weder beim Tod des erstversterbenden noch beim Tod des überlebenden Ehegatten eine die jeweilige Bereicherung durch Erbanfall mindernde Vermächtnislast nach § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG vor. Die Ziele des Steuervermächtnisses, die Freibeträge der Abkömmlinge nach dem Erstverstreben zu nutzen und die steuerpflichtige Erbmasse des Letztversterbenden zu mindern, werden also vollständig verfehlt. Die Finanzverwaltung gesteht dann "immerhin" eine abzugsfähige Erblasserschuld des überlebenden Ehegatten bei dessen Tod zu, § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG.
bb) Fälligkeit im freien Belieben des Längerlebenden
Rz. 13
Da mithin eine Fälligkeit des vom Erstversterbenden angeordneten Vermächtnisses erst zum Zeitpunkt des Todes des belasteten Letztversterbenden jedenfalls steuerlich an § 6 Abs. 4 ErbStG scheitert, kommt eine Anordnung i.S.d. § 2181 BGB in Betracht. Um dem angesprochenen Versorgungsinteresse des Längerlebenden gerecht zu werden, kann die Zeit der Erfüllung des Vermächtnisses in das freie Belieben des Beschwerten gestellt werden. Allerdings tritt auch hier der eben beschriebe (siehe Rdn 12>) negative Effekt ein: § 2181 BGB ordnet nämlich für diesen Fall an, dass die Leistung im Zweifel mit dem Tode des Beschwerten fällig wird. Es greift steuerlich also wiederum § 6 Abs. 4 ErbStG.
Rz. 14
Wird allerdings das Vermächtnis, dessen Erfüllungszeitpunkt dem freien Belieben des Beschwerten (Längerlebenden) überlassen wird, von diesem vorzeitig – mithin vor dem eigenen Versterben – erfüllt, ist dies steuerlich anzuerkennen, da die Erfüllungsentscheidung des Längerlebenden steuerlich eine Betagung i.S.d. § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG darstellt.
cc) Fälligkeitstermin
Rz. 15
§ 6 Abs. 4 ErbStG greift hingegen nicht, wenn der Erblasser einen fixen Termin als "Auffangtermin" anordnet, an dem das Vermächtnis durch den längerlebenden Ehegatten spätesten zu erfüllen ist. Dieser wird so bestimmt, dass ihn der Längerlebende wahrscheinlich noch erlebt, da ein Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten i.S.d. § 42 AO durch die Finanzverwaltung angenommen werden könnte. Ordnen z.B. bereits 80jährige Testierende die (späteste) Fälligkeit des Vermächtnisses erst 30 Jahre nach dem Tode des Erstversterbenden an, wird § 6 Abs. 4 ErbStG greifen. Als realistischer Auffangtermin können im Regelfall fünf Jahre oder aber – bei älteren Testierenden – jedenfalls auch drei Jahre angesehen werden.
dd) Kriterien zur Bestimmung des Auffangtermins
Rz. 16
Bei der Bestimmung des Fälligkeitstermins ist neben dem Versorgungsinteresse des Längerlebenden und dem notwendigen Auffangtermin steuerlich Folgendes zu beachten:
Rz. 17
Erbschaftsteuerlich greift bei einer mehr als einem Jahr hinausgeschobenen Fälligkeit die Regelung des § 12 Abs. 3 BewG, wonach der Wert des Steuervermächtnisses mit einem jährlichen Zinssatz von 5,5 % abzuzinsen ist. Es ist also beim Erbfall des Erstverstrebenden im Rahmen der Erbschaftsteuer nicht die volle nominelle Höhe des Vermächtnisses (Endwert) abzugsfähig, sondern (nur) der abgezinste Wert (Barwert).
Rz. 18
Teilweise wird auf etwaige einkommensteuerliche Folgen einer späteren Fälligkeit des Vermächtnisses hingewiesen. Die zinslose Überlassung von Kapitalvermögen ist in einen Kapital- und einen Zinsanteil aufzuteilen und der Zinsanteil bei Zufluss (beim Vermächtnisnehmer) entsprechend zu versteuern, § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG.
Rz. 19
Allerdings handelt es sich bei einem Vermächtnis um einen (unentgeltlichen) Erwerb von Todes wegen, dessen Fälligkeit – wie dargestellt (siehe Rdn 12 ff.>) – vom Erblasser bestimmt wurde. Er unterliegt daher der Erbschaftbesteuerung und nicht der Einkommensbesteuerung. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn zwischen dem (längerlebenden) Erben und dem Vermächtnisnehmer eine spätere Fälligkeit vereinbart wurde. Im Zweifel lässt sich der Problematik dadurch begegnen, dass der Beschwerte eine Ersetzungsbefugnis erhält, statt einer zunächst geschuldeten Sachleistung auch eine Geldleistung erbringen zu können.