A. Versorgungsinteresse vs. Steuerinteresse beim Berliner Testament
Rz. 1
Häufig wird in der Praxis bei Ehegatten/Lebenspartnern im Rahmen der Vermögensnachfolgegestaltung von Todes wegen das gemeinschaftliche Testament gewählt. Auf zivilrechtlicher Ebene machen die Wechselbezüglichkeit (§§ 2270, 2271 BGB) und die damit einhergehende Bindungswirkung die gemeinsame Verfügung kautelarrechtlich und forensisch interessant. Die Alleinerbenstellung des längerlebenden Ehegatten und die nach dem erstversterbenden Ehegatten eintretende Bindungswirkung realisieren das oftmals verfolgte Ziel, den Längerlebenden abzusichern und nach dessen Versterben das Vermögen den gemeinsamen Abkömmlingen zukommen zu lassen ("Berliner Testament").
Rz. 2
Aus erbschaftsteuerlicher Sicht gerät der Berater beim Berliner Testament allerdings schnell in das Spannungsfeld zwischen dem Versorgungsinteresse des längerlebenden Ehegatten und dem Motiv der Erbschaftsteuerersparnis. Freibeträge des Erstversterbenden gegenüber den als Schluss- oder Nacherben eingesetzten Abkömmlingen gehen verloren. Hinzu kommt die Gefahr, dass durch die Konzentration der gesamten steuerpflichtigen Erbmasse bei dem überlebenden Elternteil nach dessen Versterben eine erhöhte Erbschaftsteuer entstehen kann. Durch Testamentsgestaltung können solche negativen erbschaftsteuerlichen Folgen vermieden werden.
B. Steuervermächtnis
I. Problemstellung
Rz. 3
Beim gemeinschaftlichen Testament gehen die Freibeträge des Erstversterbenden gegenüber den als Schlusserben eingesetzten Abkömmlinge verloren und der (steuerpflichtige) Erwerb des Längerlebenden wird erhöht. Daneben konzentriert sich die gesamte steuerpflichtige Erbmasse bei dem überlebenden Elternteil, so dass im zweiten Erbfall die Gefahr einer höheren Progressionsbelastung besteht. Diesen Nachteilen kann dadurch begegnet werden, dass nach dem erstversterbenden Ehegatten Vermächtnisse zugunsten der Abkömmlinge angeordnet werden.
II. "Supervermächtnis"
1. Allgemeines
Rz. 4
Alternativ kommt – als flexible Regelung – die Anordnung eines sog. Supervermächtnisses in Betracht. Dessen zivilrechtliche Wirksamkeit – eine etwaige Unwirksamkeit ist steuerlich grundsätzlich unschädlich (siehe dazu Rdn 28>) – ist zwischenzeitlich von der Rechtsprechung anerkannt. Als zivilrechtlicher Einstieg in das Thema kann die Regelung des § 2065 Abs. 2 BGB dienen, wonach der Erblasser die Bestimmung der Person, die eine Zuwendung erhalten soll, sowie die Bestimmung des Gegenstandes der Zuwendung nicht einem anderen überlassen kann. Diesen Grundsatz der Höchstpersönlichkeit von Verfügungen von Todes wegen weichen die §§ 2151 ff. BGB auf. Danach kann der Erblasser (bei mehreren Vermächtnisnehmern) anordnen, dass
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der Beschwerte (oder ein Dritter) zu bestimmen hat, wer von den mehreren das Vermächtnis erhalten soll (§ 2151 Abs. 1 BGB), |
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der Beschwerte (oder ein Dritter) zu bestimmen hat, was jeder von einem vermachten Gegenstand erhalten soll (§ 2153 Abs. 1 BGB), |
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der Beschwerte wählen kann, welchen von mehreren Gegenständen der Bedachte erhalten soll (§ 2154 Abs. 1 BGB), |
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die Fälligkeit eines Vermächtnisses dem freien Belieben des Beschwerten überlassen wird (§ 2181 BGB), |
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bei der Anordnung eines Vermächtnisses, dessen Zweck er bestimmt hat, die Bestimmung der Leistung dem billigen Ermessen des Beschwerten überlassen wird (§ 2156 BGB). |
Rz. 5
Aus der Kumulation dieser Bestimmungsmöglichkeiten ergibt sich das sog. Supervermächtnis.
2. Zweck des Vermächtnisses
Rz. 6
Im Zentrum des Supervermächtnisses steht das Zweckvermächtnis i.S.d. § 2156 BGB. Dieses räumt dem Beschwerten, also dem überlebenden Ehegatten, die Möglichkeit ein, den Umfang der von ihm an die Schlusserben geschuldeten Leistung nach billigem Ermessen vollumfänglich zu bestimmen. Als vom Erblasser verfolgter bzw. angeordneter Zweck reicht zur zivilrechtlichen Wirksamkeit die Erbschaftsteuerersparnis durch Nutzung der Freibeträge nach dem Erstversterbenden für sich genommen bereits aus. Da die zivilrechtliche Wirksamkeit des Supervermächtnisses in der Literatur wohl nicht ganz unumstritten ist – es wird argumentiert, es fehle an einer ausreichend bestimmten Zweckangabe –, kann kumulativ zur Steuerersparnis als weiterer Zweck des Vermächtnisses die "Abfindung vom elterlichen Vermögen" angeordneten werden, den der BGH für sich genommen bereits als hinreichend bestimmt anerkennt (siehe dazu Rdn 28>).
3. Bestimmung der Person des Begünstigten und der Anteile
Rz. 7
Die Regelungen des § 2151 BGB und § 2153 BGB betreffen die Verteilung unter mehreren Vermächtnisnehmern (gemeinsame Abkömmlinge) und sollten im Rahmen der Beratung und Gestaltung nicht unterschätzt werden. Sie bieten dem Überlebenden nämlich größtmögliche Flexibilität: Dieser kann etwa einem Abkömmling gar nichts und dem anderen wertmäßig den vollen zur Verfügung stehenden Freibetrag aus dem Nachlas...