Florian Enzensberger, Maximilian Maar
1. Allgemeines
Rz. 12
Eine letztwillige Verfügung, durch die der Erblasser seinen Ehegatten bedacht hat, ist unwirksam, wenn die Ehe nichtig oder wenn sie vor dem Tod des Erblassers aufgelöst worden ist (§ 2077 Abs. 1 S. 2 BGB). Besteht allerdings die Annahme, dass der Erblasser sie auch für einen solchen Fall getroffen haben würde, ist die Verfügung nach § 2077 Abs. 3 BGB nicht unwirksam. § 2268 Abs. 1 BGB regelt, dass in den Fällen des § 2077 BGB ein Ehegattentestament seinem ganzen Inhalt nach unwirksam ist. Der Vorschrift des § 2268 BGB liegt der Erfahrungssatz zu Grunde, dass die Ehegatten ein gemeinschaftliches Testament nicht errichtet hätten, hätten sie mit dem Scheitern ihrer Ehe gerechnet. Das gemeinschaftliche Testament der Ehegatten ist in diesen Fällen insgesamt und vollständig unwirksam und nicht nur im Hinblick auf die wechselbezüglichen Verfügungen (siehe § 3 Rdn 34). Auch Verfügungen zugunsten Dritter und nicht wechselbezügliche Verfügungen sind ihrem ganzen Inhalt nach unwirksam (siehe hierzu § 2 Rdn 18).
Rz. 13
In einer Entscheidung des OLG Koblenz hat dieses folgende Grundsätze für den Ausschluss des Ehegattenerbrechts festgestellt:
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Lagen die Voraussetzungen für eine einvernehmliche Ehescheidung nicht vor, kommt ein Ausschluss des Ehegattenerbrechts nur in Frage, wenn festgestellt werden kann, dass ohne den Todesfall einer der Ehegatten das Scheidungsverfahren weiterbetrieben hätte und die Scheidungsvoraussetzungen im Zeitpunkt des Todes des Erblassers vorlagen. |
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Unwiderlegbar vermutet wird das Scheitern der Ehe als Scheidungsvoraussetzung nur, wenn die Ehegatten seit einem Jahr getrennt lebten und beide die Scheidung beantragt hatten oder ein Antragsgegner der Scheidung aufgrund des Antrags des anderen Ehegatten zustimmte. |
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War das nicht der Fall, dann müssen die Voraussetzungen der Ehescheidung im Todeszeitpunkt einzelfallbezogen geprüft werden. |
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Die Dauer der Trennung der Ehegatten gehört dabei zu den Umständen, die das Gericht in seine Prüfungen einzubeziehen hat. Sie ist ein Indiz für oder gegen das Scheitern der Ehe. Eine darüber hinausgehende Bedeutung im Sinne der tatsächlichen Vermutung kommt der Trennungszeit aber nicht zu. |
2. Haftungsfallen
Rz. 14
Beim Beratungsgespräch zwischen Rechtsanwalt und Mandant gilt es zu berücksichtigen und darauf hinzuweisen, dass die Zustellung des Scheidungsantrags erforderlich ist, um die erbrechtliche Folgen herbeizuführen.
Praxishinweis
Um das gesetzliche Erbrecht des Ehegatten im Rahmen des Scheidungsverfahrens auszuschließen, ist vorsorglich immer auch ein eigener Scheidungsantrag zu stellen, da ansonsten das Ehegattenerbrecht des anderen Ehegatten durch Rücknahme des Scheidungsantrags bestehen bleiben kann!
Wenn beide Ehegatten die Scheidung anstreben, wird häufig eine Scheidungsfolgenvereinbarung getroffen. Hierbei werden immer wieder die erbrechtlichen Konsequenzen vergessen. Um die Rechtsfolgen des § 1933 BGB nicht erst bei Rechtshängigkeit einer Scheidung herbeizuführen, ist es deshalb ratsam, einen Erb-, jedenfalls aber einen Pflichtteilsverzicht abzuschließen.
3. Fortgeltung des Ehegattentestaments trotz Scheidung
Rz. 15
Geschiedene Ehegatten müssen die mögliche Fortgeltung eines früheren Ehegattentestaments trotz Scheidung beachten. In einem Scheidungsverfahren aus dem Jahre 2004 hat der Bundesgerichtshof festgestellt, dass die Wechselbezüglichkeit von letztwilligen Verfügungen und damit deren Bindungswirkung bei Auflösung der Ehe ausnahmsweise dann nicht wegfällt, wenn ein entsprechender Fortgeltungswille der Eheleute i.S.d. § 2268 Abs. 2 BGB bei Testamentserrichtung festgestellt werden kann. Folglich können wechselbezügliche Verfügungen, die nach § 2268 Abs. 2 BGB fortgelten, nur nach den Vorschriften für den Rücktritt beim Erbvertrag widerrufen werden.
Praxishinweis
Um dies zu verhindern, ist in die gemeinsame letztwillige Verfügung ein ausdrücklicher Hinweis aufzunehmen, wonach die komplette Verfügung von Todes wegen unwirksam sein soll und § 2268 Abs. 2 BGB nicht zur Anwendung kommen soll, für den Fall, dass ein begründeter Scheidungsantrag rechtshängig ist.
Rz. 16
Geschiedenen Ehegatten ist regelmäßig nicht bewusst, dass ein früheres Ehegattentestament bei Vorliegen eines Fortgeltungswillens nicht mehr durch ein privatschriftliches Testament zugunsten der "neuen" Familie widerrufen werden kann. Das Recht zum Widerruf nach § 2271 BGB erlischt mit dem Tod des anderen (Ex-)Ehegatten. Zur Wiederherstellung der Testierfreiheit kommt eine Testamentsanfechtung gem. § 2079 BGB (z.B. im Falle einer Wiederheirat oder der Geburt eines Kindes) in Betracht, wobei die Anfechtungsfrist von einem Jahr (§ 2082 BGB) zu beachten ist.
4. Auswirkung der Ehescheidung auf Lebensversicherungsverträge
Rz. 17
§ 2077 BGB ist nach herrschender Meinung auf Lebensversicherungen (siehe auch § 3 Rdn 82) und sonstige Rechtsgeschäfte unter Lebenden nicht entsprechend anzuwenden, da dem die Rechtssicherheit und schutzwürdigen Interessen des Versicherers entgegens...