Florian Enzensberger, Maximilian Maar
Rz. 44
Die Anordnung der Vor- und Nacherbschaft bietet gute Möglichkeiten, schwierige erbrechtliche Problemstellungen, die beispielsweise bei einem Geschiedenentestament auftreten, zu lösen. Allerdings werden regelmäßig die weiterreichenden Verfügungs- und Verwaltungsbeschränkungen sowie die Sicherungs- und Kontrollrechte des Nacherben als störend empfunden. Deshalb wird immer wieder versucht, den "superbefreiten Vorerben" zu erschaffen, der möglichst weit reichend von sämtlichen rechtlichen Fesseln befreit ist. Andererseits sollen aber die mit der Anordnung der Nacherbschaft verfolgten Gestaltungsziele nicht verloren gehen.
Im Rahmen eines Geschiedenentestaments wird es regelmäßig dem Interesse des Erblassers entsprechen, die Vorerben von allen Beschränkungen zu befreien, soweit dies gesetzlich zulässig ist. § 2136 BGB gibt dem Erblasser die Möglichkeit, durch ausdrückliche Anordnung in einer letztwilligen Verfügung, abweichende Bestimmungen zu treffen und dadurch die Rechtsstellung des Vorerben zu verbessern und die des Nacherben einzuschränken. § 2136 BGB stellt hierbei eine abschließende Aufzählung dar. Es bestehen konkret folgende Befreiungsmöglichkeiten:
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Befreiung von der Verfügungsbeschränkung über Grundstücke und Rechte an solchen (§ 2113 Abs. 1 BGB). |
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Befreiung von der eingeschränkten Einziehung von Hypothekenforderungen, Grund- und Rentenschulden (§ 2114 BGB). |
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Befreiung von der Hinterlegung bzw. Umschreibung von Wertpapieren und der Anlegung von Geld (§§ 2116 bis 2119 BGB). |
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Befreiung von der Aufstellung eines Wirtschaftsplanes bei Wald und der Gewinnung von Bodenschätzen (§ 2123 BGB). |
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Befreiung von den Kontroll- und Sicherungsrechten des Nacherben nach §§ 2127 bis 2129 BGB. |
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Befreiung von dem Gebot der ordnungsgemäßen Verwaltung, der Rechnungslegungsverpflichtung nach § 2130 BGB und dem Haftungsmaßstab für Vorerben nach § 2131 BGB. |
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Befreiung von Wertersatz für Raub- und Übermaßfrüchte (§ 2133 BGB). |
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Befreiung von Wertersatz für eigennützige Verwendung von Erbschaftsgegenständen (§ 2134 BGB). |
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Die Befreiung ist im Erbschein des Vorerben anzugeben (§ 352b Abs. 1 S. 2 FamFG) und bei der Eintragung des Vorerben von Amts wegen im Grundbuch einzutragen (§ 51 BGO). |
1. Gesamtbefreiung
Rz. 45
Die in der Praxis häufigste Form der Vorerbschaft ist die der Gesamtbefreiung.
Formulierungsbeispiel
Ich setze meinen Sohn X zu meinem alleinigen Erben ein. Er wird jedoch nur Vorerbe. Er soll von allen gesetzlichen Beschränkungen befreit sein, soweit dies möglich und rechtlich zulässig ist. Mir ist bewusst, dass er auch dann noch weitreichenden Verfügungsbeschränkungen unterliegt, insbesondere dem sog. Schenkungsverbot, und die nachstehend getroffene Nacherbfolge nicht mehr ändern kann.
Bei einer mehrfach angeordneten Vor- und Nacherbfolge ist exakt klarzustellen, ob und in welchem Umfang die jeweiligen Vorerben von den gesetzlichen Beschränkungen befreit sein sollen.
Formulierungsbeispiel
Ich bestimme zu meiner alleinigen Erbin meine Tochter B. Sie ist jedoch nur Vorerbin. Sie ist von allen gesetzlichen Beschränkungen befreit, soweit dies möglich und rechtlich zulässig ist.
Zum Nacherben bestimme ich meinen Neffen A. Der Nacherbfall tritt mit dem Tod der Vorerbin ein. Die Nacherbenanwartschaft ist nicht vererblich und nur an den Vorerben übertragbar.
Zu weiteren Nacherben nach dem Tod meines Neffen A, und zwar hinsichtlich des dann noch vorhandenen Nachlasses, bestimme ich dessen Abkömmlinge nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolgeordnung.
Erlangt mein Neffe A aufgrund der doppelten Nacherbfolge beim Eintritt des ersten Nacherbfalls die Stellung eines Vorerben, dann ist er von allen gesetzlichen Beschränkungen befreit, soweit dies möglich und rechtlich zulässig ist.
2. Personenbezogene Befreiung
Rz. 46
Einem Vorerben kann Befreiung von den Verfügungsbeschränkungen auch nur gegenüber einzelnen von mehreren Nacherben erteilt werden. Möglich ist auch nur einem von mehreren Vorerben eine Gesamtbefreiung oder eine beschränkte Befreiung zu erteilen. Ob eine solche Vorgehensweise sinnvoll ist, muss in jedem individuellen Fall beurteilt werden. Dabei ist auch immer zu beachten, dass derartige unterschiedliche Bestimmungen ein Testament stets schwieriger machen. Für Laien ist häufig schon die Vor- und Nacherbschaft in ihrer Grundkonstruktion ein sehr komplexes Thema, so dass weitergehende Gestaltungen stets gut mit den Mandanten besprochen werden sollten.
3. Befreiung von einzelnen Beschränkungen und Verpflichtungen
Rz. 47
Formulierungsbeispiel
Der Vorerbe ist von sämtlichen Beschränkungen des § 2113 Abs. 1 BGB und darüber hinaus von den in den §§ 2116, 2118 und 2119 BGB normierten Pflichten, insbesondere Wertpapiere zu hinterlegen und das im Nachlass befindliche oder als Surrogat erlangte Geld nach den Vorschriften der §§ 240a BGB anzulegen, befreit. Im Übrigen bleibt es jedoch vollumfänglich bei den gesetzliche...