a) Überblick
Rz. 44
In § 15a RVG ist ein neuer Absatz 2 eingefügt worden. Der bisherige Abs. 2 ist damit zu Abs. 3 geworden. Ursprünglich sollte die Änderung als neuer Abs. 3 angehängt werden (so auch noch der Regierungsentwurf). Der Rechtsausschuss hat dann aber vorgeschlagen, aus systematischen Gründen die neue Regelung in Abs. 2 einzufügen und die an sich ohnehin systemwidrige Regelung im bisherigen § 15a Abs. 2 RVG in Abs. 3 zu verschieben.
Rz. 45
Mit dem neuen Absatz 2 wird klargestellt, wie anzurechnen ist, wenn mehrere Gebühren aus Teilwerten auf eine Gebühr aus dem Gesamtwert anzurechnen sind. Diese Frage war bislang strittig.
b) Anrechnung nach Wertgebühren
Rz. 46
Kontrovers diskutiert worden ist die Frage bei der Anrechnung mehrerer Geschäftsgebühren auf eine Verfahrensgebühr bei Abrechnung nach dem Gegenstandswert. Solche Fallkonstellationen konnten auftreten, wenn außergerichtlich zunächst mehrere Angelegenheiten mit unterschiedlichen Gegenständen gegeben waren und im anschließenden gerichtlichen Verfahren dann alle Gegenstände in einem Verfahren im Wege der objektiven Klagenhäufung geltend gemacht wurden. Ebenso konnte diese Fallkonstellation auftreten, wenn zwei Parteien außergerichtlich jeweils eigene Ansprüche gesondert geltend gemacht hatten, diese aber in ein einheitliches gerichtliches Verfahren im Wege von Klage und Widerklage eingebracht wurden.
Rz. 47
Beispiel:
Der Anwalt hatte außergerichtlich für den Auftraggeber gegen B eine Forderung i.H.v. 8.000,00 EUR geltend gemacht. Gleichzeitig hatte er in einer anderen Angelegenheit eine Forderung des B in Höhe von 6.000,00 EUR abgewehrt. Die Streitigkeiten waren umfangreich, aber durchschnittlich, sodass jeweils von der Mittelgebühr auszugehen war. Anschließend erhob der Anwalt für seinen Mandanten Klage auf Zahlung der 8.000,00 EUR. Der Beklagte B erhob Widerklage wegen seiner 6.000,00 EUR. Es wurde mündlich über Klage und Widerklage verhandelt. Der Streitwert wurde auf 14.000,00 EUR festgesetzt (§ 45 Abs. 1 S. 1 GKG).
Außergerichtlich waren zwei verschiedene Angelegenheiten gegeben und damit zwei Geschäftsgebühren entstanden. Abzurechnen war insoweit wie folgt (alte Gebührenbeträge):
I. Außergerichtliche Vertretung (Wert: 8.000,00 EUR)
1. |
1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG |
|
684,00 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
704,00 EUR |
|
3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG |
|
133,76 EUR |
|
Gesamt |
|
837,76 EUR |
II. Außergerichtliche Vertretung (Wert: 6.000,00 EUR)
1. |
1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG |
|
531,00 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
551,00 EUR |
|
3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG |
|
104,69 EUR |
|
Gesamt |
|
655,69 EUR |
Rz. 48
Im gerichtlichen Verfahren war sodann eine 1,3-Verfahrensgebühr aus 14.000,00 EUR entstanden. Darauf waren jeweils 0,75 aus 8.000,00 EUR und aus 6.000,00 EUR anzurechnen. Nach der Rechtsprechung des BGH sollten beide Geschäftsgebühren in voller Höhe anzurechnen sein.
Anrechnung mehrerer Geschäftsgebühren auf einheitliche Verfahrensgebühr
Fällt die Geschäftsgebühr für die vorgerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts mehrfach an und werden die vorgerichtlich geltend gemachten Ansprüche im Wege objektiver Klagehäufung in einem einzigen gerichtlichen Verfahren verfolgt, so dass die Verfahrensgebühr nur einmal anfällt, sind alle entstandenen Geschäftsgebühren in der tatsächlichen Höhe anteilig auf die Verfahrensgebühr anzurechnen.
BGH, Beschl. v. 28.2.2017 – I ZB 55/16
Dies ergab folgende Berechnung:
III. Gerichtliches Verfahren (Wert: 14.000,00 EUR)
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG |
845,00 EUR |
|
2. |
gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG anzurechnen, 0,75 aus 8.000,00 EUR |
– 342,00 EUR |
|
3. |
gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG anzurechnen, 0,75 aus 6.000,00 EUR |
– 265,50 EUR |
|
|
verbleibende Verfahrensgebühr |
|
237,50 EUR |
4. |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG |
|
780,00 EUR |
5. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
1.037,50 EUR |
|
6. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG |
|
197,13 EUR |
|
Gesamt |
|
1.234,63 EUR |
Rz. 49
Nach anderer Auffassung, insbesondere des OLG Koblenz und des OVG Nordrhein-Westfalen, war dagegen nicht mehr anzurechnen als eine Gebühr nach dem höchsten Anrechnungssatz aus dem Gesamtwert.
Rz. 50
Mündet die vorprozessuale Tätigkeit für mehrere Auftraggeber wegen verschiedener Gegenstände in einen einheitlichen Prozess wegen sämtlicher Gegenstände, hat die Anrechnung der Geschäftsgebühr ausschließlich aus dem Wert des Gegenstandes des gerichtlichen Verfahrens zu erfolgen.
OLG Koblenz, Beschl. v. 24.9.2008 – 14 W 590/08
Rz. 51
Die Geschäftsgebühr für das vorgerichtliche Widerspruchsverfahren ist auf die Verfahrensgebühr für das gerichtliche Verfahren nach einem fiktiven einheitlichen Gegenstand und dem hierfür festgesetzten Gesamt-Streitwert hälftig anzurechnen, wenn für das Widerspruchsverfahren tatsächlich mehrere einzelne Geschäftsgebühren von Teilen des späteren gerichtlichen Streitgegenstandes entstanden sind (Vorbem. 3 Abs. 4 S. 5 ...