Rz. 119
Auch § 48 Abs. 6 RVG wurde angepasst. Bei der Anwendung des § 48 Abs. 6 S. 3 RVG war bislang umstritten, ob es auch in den Fällen, in denen es erst nach einer Verbindung zur Bestellung des Pflichtverteidigers kam, noch der in § 48 Abs. 6 S. 3 RVG geregelten Erstreckungsentscheidung bedurfte, um in den Genuss der rückwirkenden Erstreckung nach § 48 Abs. 6 S. 1 RVG zu gelangen.
Rz. 120
Um das Problem zu verstehen, muss man die die verschiedenen Grundfälle betrachten.
Rz. 121
Beispiel 1:
Der Rechtsanwalt ist in zwei Verfahren zum Pflichtverteidiger bestellt worden. Beide Verfahren werden anschließend verbunden.
Dieser Fall bereitet überhaupt kein Problem, weil der Anwalt in beiden Verfahren bestellt ist und die Bestellung im verbundenen Verfahren fortgilt.
Beispiel 2:
Der Rechtsanwalt ist in einem Verfahren (1/21) als Wahlverteidiger tätig und in einem anderen Verfahren (2/21) als Pflichtverteidiger bestellt. Beide Verfahren werden anschließend verbunden.
Insoweit war es immer schon unstrittig, dass der Verteidiger, wenn er in dem hinzuverbundenen Verfahren zuvor nur als Wahlanwalt tätig war, für einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse eine Erstreckungsanordnung gem. § 48 Abs. 6 S. 3 RVG benötigte, wenn er auch dort die Tätigkeiten vor der Verbindung mit der Landeskasse abrechnen wollte. Daran ändert sich auch durch die Neufassung des § 48 Abs. 6 RVG nichts. Um die Tätigkeiten vor Verbindung im Verfahren 1/21 mit der Landeskasse abrechnen zu können, bedarf es bei dieser Konstellation weiterhin einer Erstreckungsanordnung nach § 48 Abs. 6 S. 3 RVG.
Beispiel 3:
Zwei Verfahren, in denen der Anwalt als Wahlverteidiger tätig war, werden miteinander verbunden. Anschließend wird der Anwalt in dem nunmehr führenden Verfahren zum Pflichtverteidiger bestellt.
Nach einer zum Teil vertretenen Auffassung sollte bei dieser Konstellation die rückwirkende Erstreckung nach § 48 Abs. 6 S. 1 RVG nur für das führende Verfahren gelten, nicht aber auch für das hinzuverbundene Verfahren. Ein Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse in dem anderen verbundenen Verfahren sollte nur in Betracht kommen, wenn das Gericht eine entsprechende Erstreckungsanordnung gem. § 48 Abs. 6 S. 3 RVG ausgesprochen hatte.
Rz. 122
Diese Auffassung wurde u.a. vom OLG Celle und vom OLG Hamburg vertreten.
Rz. 123
Rz. 124
Ungeachtet der zeitlichen Reihenfolge von Verbindung und Beiordnung bedarf es gem. § 48 Abs. 6 S. 3 RVG einer gerichtlichen Erstreckungsanordnung, um einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse für der Beiordnung vorausgehende Tätigkeiten als Wahlverteidiger in hinzuverbundenen Verfahren zu begründen.
OLG Hamburg, Beschl. v. 20.11.2017 – 2 Ws 179/17
Rz. 125
Nach der zutreffenden Gegenauffassung bedurfte es einer Erstreckungsentscheidung dagegen nur dann, wenn die Verbindung der Verfahren nach der Bestellung des Pflichtverteidigers erfolgt war, und der Pflichtverteidiger nicht in allen verbundenen Verfahren bestellt worden war (s. Beispiel 2). Bei Bestellung nach Verbindung sollte § 48 Abs. 6 S. 1 RVG gelten – mit der Folge, dass die Bestellung nach Verbindung auf alle verbundenen Verfahren zurückwirkt.
Rz. 126
Der Senat schließt sich der in der Rechtsprechung und Literatur überwiegend vertretenen Auffassung an, wonach § 48 Abs. 6 S. 1 RVG unmittelbar Anwendung findet, wenn Verfahren zunächst verbunden werden und danach die Bestellung als Pflichtverteidiger in dem (verbundenen) Gesamtverfahren erfolgt. Voraussetzung dafür, dass der Anwalt neben den Gebühren im führenden Verfahren auch weitere Gebühren für seine Tätigkeiten in den hinzuverbundenen Verfahren erhalten kann, ist aber, dass er in den hinzuverbundenen Verfahren vor der Verbindung tatsächlich tätig geworden ist. Einer Erstreckungsanordnung gemäß § 48 Abs. 6 S. 3 RVG bedarf es in diesen Fällen nicht.
OLG Hamm, Beschl. v. 16.5.2017 – 1 Ws 95/17
Rz. 127
1. Erfolgt die Beiordnung als Pflichtverteidiger im ersten Rechtszug nach der Verbindung von zuvor selbstständig geführten Verfahren, so erwachsen dem Rechtsanwalt Vergütungsansprüche für alle verbundenen Verfahren, soweit er in diesen vor der Verbindung als Wahlverteidiger tätig geworden ist.
2. Eine Erstreckungsanordnung gem. § 48 Abs. 6 S. 3 RVG ist nur veranlasst, wenn die Verbindung der Verfahren nach der Beiordnung des Verteidigers erfolgt.
OLG Bremen, Beschl. v. 7.8.2012 – Ws 137/11
Rz. 128
Die Ergänzung von § 48 Abs. 6 S. 3 RVG folgt der zutreffenden Gegenauffassung und stellt klar, dass im Falle der Verbindung von Verfahren und der anschließenden Bestellung des Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger die Wirkungen des § 48 Abs. 6 S. 1 RVG für alle verbundenen Verfahren gelten und nicht nur für das führende Verfahren. Einer gesonderten Erstreckung nach § 48 Ab...