I. Grundzüge
1. Testier- und Erbfähigkeit
Rz. 60
§ 2229 BGB regelt die Testierfähigkeit. Dies ist die Fähigkeit, ein Testament zu errichten, zu ändern oder aufzuheben, die beim Errichtungsakt bis zu dessen Abschluss (Unterschriftsleistung) vorhanden sein muss. Der im Erbscheinverfahren häufig erhobene "Standardeinwand", dass der Erblasser bei der Errichtung der letztwilligen Verfügung wegen Medikamenteneinnahme, Alters oder Demenz nicht testierfähig gewesen sei, ist jedenfalls dann prozessrechtlich irrelevant, wenn diese Behauptung nicht durch objektivierbare Tatsachen (Wahnvorstellungen, Verhaltensauffälligkeiten usw.) substantiiert wird. Bloße Vermutungen über diese Aspekte reichen prozessrechtlich jedenfalls nicht aus. Die Testier- und Erbfähigkeit hängt vom Lebensalter und der Frage der Einsichtsfähigkeit über die Bedeutung der abgegebenen Willenserklärung ab. Hierzu dient folgende Übersicht:
Häufig wird verkannt, dass auch ein unter Betreuung Stehender allein wegen der Tatsache der Betreuungsbedürftigkeit seine Testierfähigkeit nicht verliert.
Rz. 61
Das OLG Hamburg hat einen praxistauglichen "Prüfkatalog" aufgestellt, anhand dessen die Frage der Testierunfähigkeit gerichtlich abgeprüft werden kann. Insbesondere beim Einwand der Demenz oder sonstiger geistiger Schwächen zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung kann folgendes Prüfschema angewandt werden:
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Feststellung auffälliger Verhaltensweisen des Erblassers zur Ermittlung von Anknüpfungstatsachen durch Zeugenvernehmung oder schriftliche Äußerungen Dritter, was vom Nachlassgericht selbst im Wege des Freibeweises von Amts wegen zu ermitteln ist |
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Zuleitung der zur Überzeugung des Gerichts feststehenden Anknüpfungstatsachen an den Sachverständigen |
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Erhebung der medizinischen Befunde durch den Gutachter |
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Feststellung der Auswirkungen des Medizinbefundes auf die Verhaltensauffälligkeiten beim Erblasser durch den Gutachter im konkreten Fall, vor allem die Auswirkungen auf kognitive Funktionen, Persönlichkeit und Wertegefühlt des Verstorbenen |
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Erstreckung dieser Beeinträchtigungen auf den Sachverhalt zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung durch Ermittlung der Fähigkeit des Erblassers, Sachverhalte aufzufassen, zu verstehen, Informationen rational und emotional zu verarbeiten und den Sachverhalt eigenständig zu bewerten |
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Feststellung der Fähigkeit des Verstorbenen, auf dieser Grundlage einen eigenen Willen zu bilden und zu bestimmen, zu äußern und danach zu handeln |
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Ermittlungen der Fähigkeit des Erblassers, ein Urteil über alternative Sachverhalte zu bilden und frei bei der Abfassung des Testaments entscheiden zu können |
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Feststellung eines brauchbaren Grads von Gewissheit für die Testierunfähigkeit durch den Gutachter |
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Prüfung des Gutachtens durch das Gericht auf Nachvollziehbarkeit und Plausibilität. |
2. Erbfähigkeit
Rz. 62
Die Erbfähigkeit folgt aus der allg. Rechtsfähigkeit, § 1 BGB. Nur Rechtssubjekte sind daher erbfähig, nicht hingegen Rechtsobjekte, wie z.B. Tiere. Rechtssubjekte sind alle natürlichen Personen sowie juristische Personen des öffentlichen Rechts und Privatrechts. Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit Vollendung der Geburt, § 1 BGB. Allerdings wird das noch ungeborene, bereits gezeugte Kind (nasciturus) durch eine Reihe von Sondervorschriften geschützt. In erbrechtlicher Hinsicht ist § 1923 Abs. 2 BGB zu berücksichtigen. Wer zurzeit des Erbfalls noch nicht lebte, aber schon gezeugt war, gilt als vor dem Erbfall geboren. Zur Erlangung der Erbfähigkeit verlangt das Gesetz allerdings, dass der Erbe zumindest kurz außerhalb des Mutterleibes gelebt hat. Bei Fehl- oder Totgeburten oder versterben der Mutter samt Leibesfrucht ist ein Erbrecht des nasciturus daher nicht möglic...