Rz. 32
Ob der überlebende Ehegatte die Ausschlagung erklären soll, ist auf den Einzelfall bezogen zu ermitteln. Dabei spielen Überlegungen eine Rolle, die wie folgt vom erbrechtlichen Berater berücksichtigt werden sollten:
Zu beachten ist, ob sich der Ehegatte auf seine Zugewinnausgleichsforderung möglicherweise Vorempfänge nach § 1380 BGB anrechnen lassen muss. Auch sollte überlegt werden, ob damit zu rechnen ist, dass Erben ein Leistungsverweigerungsrecht i.S.d. § 1381 BGB möglicherweise geltend machen. Ebenso ist eine mögliche Stundung des Zugewinnausgleichsanspruchs durch das FamG zu beachten. Aufzuklären ist auch, ob möglicherweise der Ehegatte, der den Zugewinnausgleich einfordert, nach § 1383 BGB Vermögensgegenstände des Erblassers anstelle von Geld erhält. Nicht außer Acht zu lassen ist die Möglichkeit, das Endvermögen nach § 1375 Abs. 2 BGB fiktiv zu erhöhen, sofern dies möglich ist. Auch prozessuale Überlegungen (Beweismittel, usw.) im Rahmen von etwaigen Prozesschancen sind in die Abwägung einzustellen.
Rz. 33
Um die Schwierigkeiten bei der Überlegung, ob eine Ausschlagung erfolgen soll oder nicht, zu verdeutlichen, haben sich folgende praxisrelevanten Fallkonstellationen herauskristallisiert:
(1) Wird dem Ehepartner ein Vermächtnis hinterlassen, das geringer ist als der eigentliche Pflichtteil, kann der überlebende Ehegatte nach § 2305 BGB den Restpflichtteil verlangen. Dieser bemisst sich allerdings nach dem erhöhten Ehegattenerbrecht (großer Pflichtteil). Ein Zugewinnausgleichsanspruch ergibt sich in diesen Konstellationen allerdings nicht. Der überlebende Ehegatte kann diesen Zugewinnausgleichsanspruch und den kleinen Pflichtteil nur dann geltend machen, wenn das Vermächtnis ausgeschlagen wird.
(2) Ist der dem überlebenden Ehegatten hinterlassene Erbteil genau so hoch wie der erhöhte Pflichtteil, wäre zur Ausschlagung anzuraten, um den Zugewinnausgleichsanspruch und den kleinen Pflichtteil zu erlangen. Sofern der Erbteil des überlebenden Ehegatten mit Auflagen, Vermächtnissen, etc. gem. § 2306 BGB beschwert ist, galten diese Beschwerungen als nicht angeordnet, sofern der hinterlassene Erbteil kleiner oder gleich dem Pflichtteil war (§ 2306 BGB a.F.). Um festzustellen, ob der Erbteil kleiner oder gleich dem Pflichtteil ist, war wiederum vom erhöhten gesetzlichen Erbteil des Ehegatten auszugehen.
§ 2306 Abs. 1 BGB vereinfacht die Frage der Ausschlagung zur Erlangung des Pflichtteils: Ein als Erbe eingesetzter Pflichtteilsberechtigter, der durch Vorerbschaft, Nacherbschaft, Testamentsvollstreckung beschränkt, durch eine Teilungsanordnung, ein Vermächtnis oder eine Auflage beschwert ist, kann nunmehr unabhängig von der Höhe des ihm Zugewandten entweder den ihm zugewandten Erbteil mit allen Belastungen annehmen oder den Pflichtteil verlangen, wenn er den Erbteil ausschlägt. Die Neufassung des § 2306 BGB gilt für alle Erbfälle, die seit 1.1.2010 eintreten (Art. 229 § 23 EGBGB).
Praxishinweis
Wenn dem Ehegatten mehr als der große Pflichtteil zugewandt wurde, dies allerdings mit Beschränkungen oder Beschwerungen verbunden ist, ist dem überlebenden Ehegatten regelmäßig zur Ausschlagung anzuraten, um den Zugewinnausgleichsanspruch sowie den kleinen Pflichtteil zu erhalten.