Rz. 166
Schlägt der Bedachte aus, verliert er grundsätzlich auch seinen Pflichtteil, außer es liegen Ausschlagungsgründe nach §§ 1371, 2306 oder 2307 BGB vor.
Rz. 167
Praxishinweis
Der Anwalt begeht einen Beratungsfehler, wenn er dem Mandanten anrät, eine Ausschlagung zu erklären, weil dem Mandanten weniger als der Pflichtteil zugewandt wurde. Vielmehr ist der Mandant dann auf die Geltendmachung des Restpflichtteils zu verweisen. Würde ausgeschlagen, entfiele der komplette Anspruch auf den Pflichtteil.
Rz. 168
Die (seit 1.1.2010 geltende) Fassung des § 2306 Abs. 1 BGB ermöglicht es, dass sich der Erbe mittels Ausschlagung (unter Beibehaltung seines Pflichtteilsanspruchs) sowohl nach S. 1 als auch nach S. 2 der Vorschrift von den Beschränkungen und Beschwerungen lösen kann; schlägt er nicht aus, bleiben diese bestehen und der Erbe hat den belasteten Erbteil zu übernehmen.
Rz. 169
Wenn die Ausschlagung nicht erfolgt und der Erbteil geringer ist als der Pflichtteil, steht dem Erben der Pflichtteilsrestanspruch aus § 2305 BGB zu. Dabei sind die Beschränkungen und Beschwerungen wiederum nicht zu berücksichtigen, § 2305 S. 2 BGB n.F. Auch wenn der Erbe eine Fehleinschätzung oder fehlerhafte Bewertung des Nachlasses vornimmt, geht er nach der Neuregelung nicht mehr leer aus.
Rz. 170
Beachte
Im Rahmen eines "Behindertentestaments" ist zur Sicherheit auch künftig anzuraten, dem Behinderten einen Erbteil zuzuwenden, der über der Pflichtteilsquote liegt, andernfalls die Gefahr droht, dass der Betreuer die Ausschlagung erklärt.
Rz. 171
Im Rahmen des § 2307 BGB hat der Pflichtteilsberechtigte die Wahl, ob er das Vermächtnis ausschlagen soll oder nicht. Wenn er ausschlägt, erhält er stets den vollen unbeschränkten Pflichtteil. Nimmt er das Vermächtnis an, hat er, sofern die wertmäßige Zuwendung kleiner als der Pflichtteil ist, ergänzend Anspruch auf den Zusatzpflichtteil nach § 2307 Abs. 1 S. 2 BGB. Schlägt der überlebende Ehegatte einer Zugewinngemeinschaft das ihm zugewendete Vermächtnis aus, so kann er neben dem rechnerischen Zugewinn, § 1371 Abs. 2 BGB, nur noch den kleinen nach § 1931 BGB berechneten Pflichtteil fordern.
Rz. 172
Zu berücksichtigen ist, dass vor der Annahme des Vermächtnisses häufig übersehen wird, dass alle auf dem Vermächtnis lastenden Beschränkungen oder Beschwerungen bei der Wertermittlung außer Acht bleiben. Daher werden auch aufschiebend bedingte Vermächtnisse mit dem vollen Wert in Abzug gebracht, auch wenn die Bedingung nicht eintritt. Liegt der Wert des zugewandten Vermächtnisses also unter dem Pflichtteil, so steht dem Vermächtnisnehmer neben dem Vermächtnis ein Pflichtteilsrestanspruch in Höhe der Differenz zu, § 2307 Abs. 1 S. 2 BGB. Der Pflichtteilsberechtigte muss sich somit das Vermächtnis aus dem Pflichtteil anrechnen lassen, nicht dagegen umgekehrt. Es besteht auch die Möglichkeit, dass dem Pflichtteilsberechtigten sowohl ein Erbteil als auch ein Vermächtnis hinterlassen wurde.