Dr. iur. Nikolas Hölscher
a) Enterbung
Rz. 39
Wie sich aus der Rechtsfolgenseite von § 2309 BGB ergibt, wird die zunächst bestehende Pflichtteilsberechtigung der entfernter Berechtigten wieder eingeschränkt, wenn
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ein näherer Abkömmling den Pflichtteil verlangen kann (§ 2309 Alt. 1 BGB) oder |
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der näher pflichtteilsberechtigte Abkömmling das ihm Hinterlassene annimmt (§ 2309 Alt. 2 BGB). |
Rz. 40
Hinterlassen ist, was durch Verfügung von Todes wegen zugewandt wird. In Betracht kommen also Vermächtnisse und Erbteile, die hinter dem Wert der Hälfte des gesetzlichen Erbteils zurückbleiben, nicht aber eine Zuwendung durch Auflage. Der Pflichtteilsanspruch des entfernter Berechtigten deckt daher nur noch diesen Wertunterschied. Dabei bleiben Beschränkungen und Beschwerungen der Zuwendung – entsprechend den zu § 2306 BGB entwickelten Kriterien – außer Betracht. Hinterlassen i.S.d. § 2309 BGB ist auch das, was dem näheren Abkömmling zu Lebzeiten als anrechnungs- oder ausgleichungspflichtiger Vorempfang gewährt wurde oder er aufgrund eines entgeltlichen Erb- oder Pflichtteilsverzichts erhalten hat.
b) Einzelfragen
aa) Pflichtteil der Aszendenten bei Abfindung an Deszendenten – der Pflegeheimfall
Rz. 41
Kommt es durch einen entgeltlichen Erbverzicht zu einer Pflichtteilsberechtigung der Eltern des Erblassers, erscheint es fraglich, ob hier eine Anrechnung möglich ist, denn die hier erfolgte Zuwendung an einen verzichtenden Deszendenten ist keine Begünstigung des Aszendenten. Der Normzweck "keine Doppelbegünstigung des gleichen Stammes" erfasst bei genauer Betrachtung nicht unmittelbar diesen Fall.
Beispiel
Der verwitwete Erblasser E hinterlässt zwei Kinder, die jedoch gegen Zahlung von je 50.000 EUR auf ihren Erbteil verzichtet haben. Der Nachlasswert hat einen Wert von 500.000 EUR. Erbin ist die Lebensgefährtin D. Die verwitwete Mutter M ist im Pflegeheim untergebracht. Der Sozialhilfeträger will ihren Pflichtteilsanspruch überleiten. Besteht ein solcher und, wenn ja, in welcher Höhe?
Infolge des Erbverzichts beider Abkömmlinge ist die Mutter nunmehr nach § 2309 BGB pflichtteilsberechtigt. Bei der Berechnung der Pflichtteilsquote werden die Abkömmlinge aufgrund des Erbverzichts ebenfalls nicht berücksichtigt (§ 2310 S. 2 BGB). Der Pflichtteil beträgt daher 500.000 EUR × ½ = 250.000 EUR, jedoch gem. § 2309 Alt. 2 BGB gekürzt um die Gegenleistung für den entgeltlichen Erbverzicht i.H.v. 2 × 50.000 EUR = 100.000 EUR, wenn man dem OLG Celle folgt. Daher beträgt der Pflichtteilsanspruch der M 150.000 EUR.
bb) Keine Anrechnung des Hinterlassenen, wenn es zu keiner Verdoppelung der Pflichtteilslast kommt – der beschränkte Erbverzicht des näher Berechtigten
Rz. 42
Um Bedeutung und Reichweite des § 2309 BGB geht es auch in dem Urteil des BGH vom 27.6.2012. Die Entscheidung macht abermals deutlich, wie gefährlich die Abgabe eines Erbverzichts ist.
Beispielsfall
In dem entschiedenen Fall macht die Klägerin gegen ihre Mutter Pflichtteilsansprüche nach deren am 20.2.2005 verstorbenem Vater (Erblasser) in Höhe der Hälfte des Nachlasswertes geltend. Der Erblasser und die Mutter der Beklagten errichteten am 23.11.1987 ein gemeinschaftliches Testament in notarieller Form, mit dem sie sich gegenseitig zum alleinigen und ausschließlichen Erben einsetzten und ihre Enkelkinder zu Schlusserben bestimmten. Dem Überlebenden wurde das Recht vorbehalten, aus dem Kreis der gemeinschaftlichen Abkömmlinge abweichende Schlusserben zu bestimmen. Am selben Tag verzichtete die beklagte Tochter gegenüber ihren Eltern allein für ihre Person, nicht aber für ihre Abkömmlinge, auf das ihr zustehende gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht.
Nach dem Tod seiner Ehefrau setzte der Erblasser mit notariellem Testament im Jahre 2000 die beklagte Tochter zu seiner alleinigen und ausschließlichen Erbin ein und bestimmte die klagende Enkelin zur Ersatzerbin. Die Parteien sind die einzigen Abkömmlinge des Erblassers und seiner vorverstorbenen Ehefrau.
Mit der Klage verlangt die Klägerin von der Beklagten Zahl...