Rz. 16

In Sachen Wolter und Sarfert ./. BRD urteilte der EGMR am 23.3.2017. Der EGMR nahm eine Verletzung von Art. 14 i.V.m. Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK durch die Übergangsregelung in Art. 12 § 10 Abs. 1 S. 1 NEhelG an.[27] In dieser Entscheidung legte der EGMR nun erstmals Kriterien einer Verhältnismäßigkeitsprüfung für die Frage nach der Zulässigkeit der Einführung einer Stichtagsregelung fest.[28] Folgende Umstände sollen für die Bewertung jedes Einzelfalls von Bedeutung sein:[29]

der Kenntnisstand erbberechtigter Personen von dem nichtehelichen Kind,
der rechtliche Status der betroffenen erbrechtlichen Positionen,
die bis zur Klageerhebung verstrichene Zeit und
ob durch das nationale Recht eine finanzielle Entschädigung für den Verlust des Erbrechts gewährt wird.
 

Rz. 17

Dem ersten Kriterium misst der EGMR wohl nur eine geringfüge Bedeutung bei.[30] Dies kann man zumindest ansatzweise daraus ableiten, dass der EGMR im Fall des Beschwerdeführers Sarfert angenommen hat, dass dieser der Erbin zum Zeitpunkt des Erbfalls möglicherweise völlig unbekannt gewesen sein könnte.[31] Dennoch nahm der EGMR eine Verletzung vor Art. 14 i.V.m. Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK an.

Dem zweiten Kriterium dürfte in der Praxis das wesentliche Gewicht zufallen. Der Entscheidung des EGMR kann entnommen werden, dass es wohl zulässig ist, erbrechtliche Ansprüche, die bereits verjährt sind, von einer Rückwirkung auszunehmen.[32] E contrario heißt das: in den anderen Fällen wohl nicht.

Dem dritten Kriterium ist die Frage immanent, was im Einzelfall aus dem Kriterium des Zeitablaufs folgt. Der EGMR hat in Sachen Wolter und Sartfert ./. BRD für das Kriterium des Zeitablaufs auf die Dauer zwischen Klageerhebung und Verkündung der Entscheidung in Sachen Brauer ./. Deutschland abgestellt.[33] Beide Klagen in den Beschwerdeverfahren seien unmittelbar nach der Entscheidung in Sachen Brauer ./. BRD erhoben worden, weshalb den Klägern kein Vorwurf gemacht werden könne.[34]

Das vierte Kriterium erfasst im nationalen Recht die Fälle von Art. 12 § 10 Abs. 2 S. 1 NEhelG, wonach der Betroffene vom Bund oder einem Land Wertersatz in Höhe der ihm entgangenen erbrechtlichen Ansprüche verlangen kann, wenn der Bund oder das Land gemäß § 1936 BGB Erbe geworden ist.

[27] EGMR NJW 2017, 1805 = FamRZ 2017, 829 m. Anm. Magnus.
[28] EGMR NJW 2017, 1805 = FamRZ 2017, 829 m. Anm. Magnus.
[29] EGMR NJW 2017, 1805 = FamRZ 2017, 829 (Rn 72).
[30] Ebenso: Magnus FamRZ 2017, 831; BeckOGK BGB/Tegelkamp, § 1924 Rn 52.
[31] EGMR NJW 2017, 1805 = FamRZ 2017, 829 (Rn 73 f.).
[32] So m.E. zutreffend Magnus FamRZ 2017, 831.
[33] EGMR NJW 2017, 1805 = FamRZ 2017, 829 (Rn 76 f.).
[34] EGMR NJW 2017, 1805 = FamRZ 2017, 829 (Rn 76 f.).

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