Dr. iur. Nikolas Hölscher
Rz. 8
Aufgrund des Zweiten Erbrechtsgleichstellungsgesetzes ergab sich folgende zeitliche Abstufung:
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Erbfälle ab Inkrafttreten des Gesetzes: Für alle Erbfälle, die nach der Verkündung der Neuregelung eintreten, werden alle vor dem 1.7.1949 geborenen nichtehelichen Kinder den ehelichen Kindern gleichgestellt. Sie werden genau wie diese zu gesetzlichen Erben. |
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Erbfälle ab dem 29.5.2009 bis zum Inkrafttreten des Gesetzes: Da bei Altfällen vor Inkrafttreten des Gesetzes das Vermögen der Verstorbenen bereits auf die nach alter Rechtslage zunächst berufenen Erben übergegangen ist, sollte die Erbschaft diesen nur in sehr engen verfassungsrechtlichen Grenzen wieder entzogen oder geschmälert werden können. Daher wurde die Neuregelung nur auf solche Todesfälle erweitert, die sich erst nach der Entscheidung des EGMR in Sachen Brauer ./. BRD am 28.5.2009 ereignet haben. Denn ab dieser Entscheidung sollten die nach altem Recht berufenen Erben nicht mehr auf ihre volle Rechtsstellung und damit auf ihr erlangtes Erbe vertrauen können. Das Gesetz trat deshalb rückwirkend zum 29.5.2009 in Kraft. |
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Erbfälle vor dem 29.5.2009: War der Erbfall bereits vor diesem Termin eingetreten, sollte es wegen des verfassungsrechtlich verankerten Rückwirkungsverbots grundsätzlich bei der früheren Rechtslage verbleiben. Eine Ausnahme wurde nur in den Fällen vorgesehen, in denen der Staat selbst zum Erben wurde (§ 1936 BGB), z.B. weil es weder Verwandte noch Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner gab oder weil die Erbschaft ausgeschlagen wurde. Dann hat der Staat den Wert des von ihm ererbten Vermögens an die betroffenen nichtehelichen Kinder auszuzahlen. |
Der BGH und das BVerfG sahen in der neuen Stichtagsregelung keinen Rechtsverstoß.
Mit Urteil vom 9.2.2017 entschied der EGMR in Sachen Mitzinger ./. BRD jedoch, dass die Regelung in Art. 12 § 10 Abs. 1 S. 1 NEhelG die EMRK (Art. 14 i.V.m. Art. 8 EMRK, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) verletzt. In Sachen Wolter und Sarfert ./. BRD urteilte der EGMR am 23.3.2017 und nahm eine Verletzung von Art. 14 i.V.m. Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK durch die Übergangsregelung in Art. 12 § 10 Abs. 1 S. 1 NEhelG an. In dieser Entscheidung legte der EGMR Kriterien einer Verhältnismäßigkeitsprüfung für die Frage nach der Zulässigkeit der Einführung einer Stichtagsregelung fest. Maßgeblich sein sollten der Kenntnisstand erbberechtigter Personen von dem nichtehelichen Kind, der rechtliche Status der betroffenen erbrechtlichen Positionen, die bis zur Klageerhebung verstrichene Zeit und ob durch das nationale Recht eine finanzielle Entschädigung für den Verlust des Erbrechts gewährt wird.
Teilweise wurde daraufhin die Auffassung vertreten, dass die Bewertungskriterien aus der Entscheidung Wolter und Sarfert ./. BRD im Wege einer teleologischen Erweiterung der Übergangsvorschrift umgesetzt werden können. Und zwar dahingehend, dass § 1589 Abs. 2 BGB a.F. i.V.m. Art. 12 § 10 Abs. 1 S. 1 NEhelG auch bei vor dem 29.5.2009 eingetretenen Erbfällen nicht mehr anzuwenden ist, wenn das Gericht anderenfalls durch seine Entscheidung gegen die EMRK verstoßen würde. Andere sahen erneut den Gesetzgeber gefragt. Der BGH hat in einem der Sache Brauer ./. BRD vergleichbaren Fall entschieden, dass eine teleologische Erweiterung der Übergangsvorschrift möglich ist, diese jedoch nicht einer vom Gesetzgeber beabsichtigten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widersprechen darf. Eine generelle teleologische Erweiterung der Übergangsvorschrift kann hieraus nicht abgeleitet werden; zu untersuchen bleibt jeder Einzelfall.
Die Einzelfallabhängigkeit wird auch in den seit der Entscheidung des BGH zur Umsetzung der Kriterien des EGMR ergangenen Folgeentscheidungen offenbar. In der Entscheidung des KG wurde das Erbrecht einer nichtehelichen Tochter anerkannt. Das OLG Köln verneinte erbrechtliche Ansprüche in einem Fall, in dem das nichteheliche Kind erst 8 ½ Jahre nach der Entscheidung des EGMR in Sachen Brauer ./. BRD sein früher abgelehntes Erbrecht geltend machte und zusätzlich durch einen früheren Vergleich Vertrauen auf den Fortbestand der bisher angenommenen Erbrechte begründet worden war.
Ob ein erneutes Eingreifen des Gesetzgebers bei der bis heute erreichten Rechtslage noch sinnvoll wäre, wird unterschiedlich beurteilt. Aufgrund der abnehmenden Bedeutung noch offener Erbfälle vor dem 29.5.2009 und dem nach der Rechtsprechung des EGMR zu würdigenden Kriteriums des Zeitablaufs erscheint ein nochmaliges Eingreifen des Gesetzgebers nicht angezeigt.
Rz. 9
Insgesamt ergibt sich die folgende Übersicht über die erbrechtliche Stellung nichtehelicher Kinder:
Rz. 10
Übersicht 1: Erb- und Pflichtteilsrecht im Verhältnis nichtehelicher Vater/Abkömmlinge
Erbfall |
DDR-Bürger |
Bundesbürger |
vor dem 1.4.1966 |
Altes BGB: § 1589 Abs. 2 a.F. "ein uneheliches Kind und dessen Vater gelten als nicht verwandt" |
ab 1.4.1966 |
Gleichstellung minderjähriger, u.U. auch volljähriger ... |