Dr. iur. Nikolas Hölscher
I. Grundzüge
Rz. 47
Schuldner des Pflichtteilsanspruchs ist der Erbe oder Miterbe, gegen den sich der mit dem Erbfall entstandene Anspruch (§ 2317 BGB) richtet. Jedoch kann er gegen den Testamentsvollstrecker nicht geltend gemacht werden (§ 2213 Abs. 1 S. 3 BGB). Miterben haften im Außenverhältnis als Gesamtschuldner (§ 2058 BGB).
Rz. 48
Bis zur Teilung des Nachlasses kann jedoch nach § 2059 Abs. 1 S. 1 BGB jeder Miterbe die Berichtigung des Pflichtteilsanspruchs aus dem Vermögen, das er außer seinem Anteil am Nachlass hat, verweigern. Dieses Verweigerungsrecht ist eine Einrede, die im Urteil nach § 780 Abs. 1 ZPO vorbehalten werden muss. Erst bei der Zwangsvollstreckung in das Eigenvermögen kann dann der Erbe seine Rechte nach den §§ 781, 785, 767 ZPO geltend machen. Daneben bleibt dem Pflichtteilsberechtigten natürlich noch die Gesamthandsklage nach § 2059 Abs. 2 BGB gegen die Erbengemeinschaft und die Befriedigung aus dem ungeteilten Nachlass. Haftet der Erbe unbeschränkbar, so bestimmt § 2059 Abs. 1 S. 2 BGB zu seinem Schutze eine anteilige Haftung: Auf sein Eigenvermögen kann der Pflichtteilsberechtigte nur in Höhe des Teils der Schuld zugreifen, der dem ideellen Erbteil des Erben am Nachlass entspricht, was eine Haftung "pro rata" bedeutet.
Rz. 49
Nach der Teilung des Nachlasses entfällt die Einrede nach § 2059 BGB. Damit kann der Pflichtteilsberechtigte grundsätzlich auch auf das Eigenvermögen des Erben zugreifen. Neben den allgemein noch bestehenden Haftungsbeschränkungsmöglichkeiten, etwa nach § 2060 BGB, ist jedoch im Pflichtteilsrecht besonders § 2319 BGB zu beachten: Danach kann der pflichtteilsberechtigte Miterbe selbst nach der Teilung auch im Außenverhältnis zu anderen Pflichtteilsberechtigten die Befriedigung des Pflichtteilsanspruchs insoweit verweigern, dass ihm sein eigener Pflichtteil verbleibt. Dieses Leistungsverweigerungsrecht steht selbst dem bereits unbeschränkbar haftenden Pflichtteilsberechtigten zu. Es kann auch durch den Erblasser nicht ausgeschlossen werden (arg. e contr. § 2324 BGB). Das zu Recht erhobene Leistungsverweigerungsrecht des § 2319 S. 1 BGB bewirkt bis zur Höhe des geschützten Pflichtteils des pflichtteilsberechtigten Erben eine Kürzung des Pflichtteilsanspruchs. Es wirkt daher schuldbefreiend und führt zur Klageabweisung. Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen der Einrede hat der pflichtteilsberechtigte Miterbe. In Höhe des Ausfalls haften die übrigen Miterben (§ 2319 S. 2 BGB), und zwar wiederum grundsätzlich gesamtschuldnerisch (Ausnahme: §§ 2060 f. BGB), können aber wegen der Sperrwirkung des § 2319 S. 1 BGB hierfür nicht wiederum Regress gegenüber dem pflichtteilsberechtigten Miterben nach § 426 BGB nehmen. Insoweit betrifft § 2319 BGB auch das Innenverhältnis. Für den Pflichtteilsergänzungsanspruch enthält § 2328 BGB eine entsprechende Regelung (siehe § 7 Rdn 240 ff.).
Praxishinweis
Zu beachten ist, dass auch § 2319 BGB nicht gegenüber der Belastung durch Vermächtnisse und Auflagen schützt, sondern allein § 2306 Abs. 1 BGB. Wurde daher bei einem beschränkten oder beschwerten Erbteil die Ausschlagung versäumt, so berechtigt auch § 2319 BGB nicht zur Kürzung der letztwilligen Zuwendungen.
Rz. 50
Für die Verteilung im Innenverhältnis gilt: Grundsätzlich tragen danach die Pflichtteilslast die Miterben nach der Höhe ihrer Erbteile (§§ 2038 Abs. 2 S. 1, 2047 Abs. 1, 748 BGB). Ausnahmen bestehen:
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bei abweichenden Anordnungen des Erblassers (vgl. § 2324 BGB); |
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aufgrund der Pflichtteilslast des Ersatzmannes (§ 2320 BGB; siehe Rdn 54 ff.); |
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mittelbar auch nach § 2319 BGB, denn der pflichtteilsberechtigte Miterbe kann seinen Pflichtteil nicht nur gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten, sondern auch gegen den Rückgriff der Miterben im Innenverhältnis nach § 426 BGB verteidigen (siehe Rdn 55). |
Rz. 51
Für die Verteilung der Pflichtteilslast, insb. gegenüber Vermächtnisnehmern und Auflagebegünstigten, sind im Übrigen die §§ 2318 ff. BGB zu beachten. Wird der Pflichtteil des Miterben durch das Zusammentreffen von Vermächtnis bzw. Auflage und den Pflichtteilsansprüchen anderer gefährdet, so findet § 2318 Abs. 3 BGB auch hier Anwendung.
Rz. 52
Auch für den Pflichtteilsergänzungsanspruch haftet zunächst primär im Außenverhältnis der Erbe; eine Ausfallhaftung des Beschenkten ergibt sich nur ausnahmsweise nach § 2329 BGB (siehe § 7 Rdn 252 ff.). Bei Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft kann während des Bestehens der Vorerbschaft der Pflichtteil nur vom Vorerben verlangt werden. Die Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs kann der Erbe nicht davon abhängig machen, dass der Pflichtteilsberechtigte auf die “Anfechtung des Testaments verzichtet, da nach dem Gesetz der Pflichtteilsanspruch davon unabhängig ist.
Rz. 53
Wie die schwierig zu verstehende Vorschrift des § 2319 BGB im Einzelfall wirkt, lässt sich am besten an einem Beispiel verdeutlichen:
Beispiel
Der verwitwete Erblasser hinterlässt einen Nachlass von 24.000 EUR und als Pfli...