Dr. iur. Nikolas Hölscher
Rz. 54
Eine Durchbrechung des Grundsatzes, dass die Miterben die Pflichtteilslast im Innenverhältnis untereinander auch nach dem Verhältnis ihrer Anteile zu tragen haben (§§ 2038 Abs. 2, 748, 2047 Abs. 1, 2148 BGB), enthält § 2320 Abs. 1 BGB, der jedoch zur Disposition des Erblassers steht (§ 2324 BGB). Wer an Stelle des Pflichtteilsberechtigten gesetzlicher Erbe wird, soll im Innenverhältnis die Pflichtteilslast bis zur Höhe des erlangten Vorteils tragen. Nach der Auslegungsregel des § 2320 Abs. 2 BGB gilt dies auch, wenn der Erblasser den (gesetzlichen) Erbteil des Pflichtteilsberechtigten einem Dritten durch Verfügung von Todes wegen zugewandt hat. Damit macht das Gesetz den allgemeinen Gedanken der Vorteilsausgleichung auch für die Tragung der Pflichtteilslast im Innenverhältnis nutzbar.
Rz. 55
Bei gesetzlicher Erbfolge gilt § 2320 Abs. 1 BGB: Wer kraft Gesetzes Miterbe nur durch Wegfall eines Pflichtteilsberechtigten wird, weil dieser enterbt (§ 1938 BGB) wird, den Erbteil nach § 2306 Abs. 1 BGB ausschlägt oder einen Erbverzicht unter Pflichtteilsvorbehalt erklärte oder aus einem dieser Gründe einen höheren gesetzlichen Erbteil erhielt (§§ 1935, 2094, 2096 BGB), muss als sog. Ersatzmann die Pflichtteilslast in Höhe des erlangten Vorteils tragen. Dieser besteht regelmäßig im Wert entweder des gewonnenen Erbteils oder in dessen Steigerungen. Jedoch kann dieser durch Beschränkungen oder Beschwerungen gemindert werden. § 2320 BGB kann weit reichende Folgen haben:
Beispiele
1. Der Erblasser hinterlässt neben seiner Ehefrau F zwei Kinder S und T. Jedoch wird T enterbt, weitere Verfügungen von Todes wegen nicht getroffen. Dadurch erhöht sich nur der Erbteil von S, aber nicht der F. Daher trägt S allein den Pflichtteilsanspruch der T im Innenverhältnis.
2. Der verwitwete Erblasser hinterlässt zwei Kinder S und T; die T ist mit einer Testamentsvollstreckung belastet, sonstige letztwillige Anordnungen werden nicht getroffen. Schlägt die T aus, so kann sie trotzdem ihren Pflichtteil geltend machen (§ 2306 Abs. 1 BGB). Rückt nach § 2069 BGB ihr Sohn nach, so trägt er aber die Pflichtteilslast allein.
Rz. 56
Tritt gewillkürte Erbfolge ein, so gilt gem. § 2320 Abs. 2 BGB diese Verteilung der Pflichtteilslast nach § 2320 Abs. 1 BGB nur im Zweifel; es handelt sich dabei um eine Auslegungsregel. Die individuelle Auslegung hat mithin stets Vorrang. Jedoch wird sich in den meisten Verfügungen von Todes wegen kein Anhaltspunkt dafür finden lassen, wie der Erblasser die Pflichtteilslast verteilt haben wollte. Ist der Erblasserwille nicht feststellbar, kommt § 2320 BGB in folgender Prüfungsreihenfolge zur Anwendung: (1) Zunächst ist die gesetzliche Erbquote zu bestimmen. Bei Ehegatten aus einer Zugewinngemeinschaft ist dabei zu beachten, ob es zur erbrechtlichen oder güterrechtlichen Lösung kommt (siehe § 3 Rdn 47 ff.). (2) Dann ist festzustellen, wem dieser Erbteil zugewandt werden sollte. Dabei wird überwiegend gefordert, dass der Erblasser bewusst und gewollt den Pflichtteilsberechtigten durch einen Ersatzmann ersetzen wollte, also ein subjektiver Zusammenhang zwischen Enterbung und Begünstigung besteht. Einer ausdrücklichen Bestimmung dieser Art bedarf es aber auch nach h.M. nicht. Nach der Gegenmeinung genügt bereits, wenn der zugewandte Erbteil den gesetzlichen nicht übersteigt; auf die subjektiven Vorstellungen komme es nicht an.
Rz. 57
Als Rechtsfolge hat der Begünstigte im Innenverhältnis der Miterben die Pflichtteilslast i.S.v. § 2320 Abs. 1 Alt. 2 BGB zu tragen.
Beispiele
1. In Zugewinngemeinschaftsehe hinterlässt der Erblasser eine Witwe W und vier Kinder. Davon beruft er aber durch Testament nur zwei je zu ¼ als Erben und W zu ½. Wer trägt die Pflichtteilslast? Da der gesetzliche Erbteil der enterbten Kinder den beiden zu Erben berufenen Kindern zugute kommt, haben diese auch in Entlastung der W die Pflichtteilsansprüche zu erfüllen.
2. Die verwitwete Erblasserin hinterlässt den Sohn S, der bereits zwei Kinder S 1 und S 2 hat, und die Enkel E 1 und E 2 ihrer vorverstorbenen Tochter T. Durch Testament setzt sie alle vier Enkel je zu ¼ als Erben ein. Der Nachlasswert hat einen Wert von 360.000 EUR. S freut sich, da er den Pflichtteil erhält und diesen die E 1 und E 2 anteilig bezahlen müssen. Stimmt dies?
Rz. 58
Das Innenverhältnis der Erben bestimmt sich für die Tragung der Pflichtteilslast nach § 2320 Abs. 2 BGB. Die Erbquote für S betrüge die Hälfte des Nachlasses. Dieser Erbteil wurde seinen Kindern S 1 und S 2 zugewandt. Gerade in diesen Fällen des Generationensprungs ist es gerecht, dass die dadurch begünstigten Personen auch den Pflichtteil zu erfüllen haben. Der erlangte Vorteil für S 1 und S 2 beträgt jeweils 90.000 EUR. Daher liegt der erlangte Vorteil über dem Pflichtteil des S, so dass sie diesen allein zu bezahlen haben.