Dr. iur. Nikolas Hölscher
1. Überblick
Rz. 59
Da allein der Erbe Schuldner des Pflichtteilsanspruchs im Außenverhältnis ist, muss er auch die vom Erblasser angeordneten Vermächtnisse und Auflagen erfüllen, ohne dass dies zu einer Verringerung des Pflichtteils führt. Als Ausgleich hierfür gewährt § 2318 BGB dem Erben eine peremptorische Einrede in Gestalt eines Kürzungsrechts, so dass im Innenverhältnis die Pflichtteilslast von ihm und den Vermächtnisnehmern und Auflagebegünstigten verhältnismäßig getragen wird. Leistet der Pflichtteilsschuldner in Unkenntnis seines Kürzungsrechts, so kann er das zu viel Gezahlte nach § 813 BGB zurückfordern.
Rz. 60
§ 2318 BGB enthält drei verschiedene Regelungsbereiche, die miteinander verwoben sind:
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Abs. 1 regelt grundsätzlich das Kürzungsrecht des Erben bei einem Vermächtnis und bei einer Auflage, so dass diese entsprechend der Höhe der Pflichtteilsbelastung reduziert werden. |
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Abs. 3 erweitert das Kürzungsrecht für den Pflichtteilserben bei Hinzukommen weiterer Pflichtteilsansprüche: Er muss es nicht hinnehmen, dass bei Zusammentreffen von Belastungen durch Vermächtnisse, Auflagen und Pflichtteilsansprüchen Dritter ihm weniger verbleibt als sein eigener Pflichtteil, der sich bei einer Zugewinngemeinschaftsehe hier nach dem großen Pflichtteil bestimmt. |
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Abs. 2 schränkt das Kürzungsrecht zugunsten des pflichtteilsberechtigten Vermächtnisnehmers ein. Das ihm zugewandte Vermächtnis kann – abweichend von den anderen Regelungen des § 2318 BGB – bis zur Höhe seines Pflichtteils nicht gekürzt werden, sondern nur hinsichtlich des Mehrwerts. |
2. Grundregel des § 2318 Abs. 1 BGB
a) Grundzüge
Rz. 61
Prinzipiell können die Erben verlangen, dass ihnen gegenüber die Vermächtnisnehmer und Auflagebegünstigten die Pflichtteilslast nach dem Verhältnis ihrer Beteiligung am Nachlass tragen. Dies gilt allerdings nur, soweit sich aus den Ausnahmetatbeständen der §§ 2321 bis 2322 BGB nichts anderes ergibt und sofern der Erblasser nichts anderes bestimmt hat (§ 2324 BGB). Dabei kann eine solche Bestimmung auch schlüssig getroffen werden.
Praxishinweis
Nach der Rspr. kommt dem § 2322 BGB der Vorrang vor § 2318 BGB zu. Daher ist bei Ausschlagung von Erbteil oder Vermächtnis immer § 2322 BGB zuerst zu prüfen.
Rz. 62
Die anteilige Beteiligung an der Pflichtteilslast wird dadurch erreicht, dass dem Erben ein Kürzungsrecht eingeräumt wird, die ihn belastenden Vermächtnisse und Auflagen verhältnismäßig zu mindern. Dem Kürzungsrecht unterliegen – nach allerdings umstrittener Meinung – grundsätzlich auch gesetzliche Vermächtnisse, wie der Dreißigste nach § 1969 BGB, nicht jedoch der Voraus des Ehegatten (§ 1932 BGB), da dieser ohnehin bei der Pflichtteilsberechnung vorneweg abgezogen wird (§ 2311 Abs. 1 S. 2 BGB). Nicht kürzungsfähig sind auch der Unterhaltsanspruch der Mutter eines ungeborenen Erben gem. § 1963 BGB und der Ausbildungsanspruch des Stiefkindes nach § 1371 Abs. 4 BGB, da diese nicht einmal gesetzliche Vermächtnisse sind. Voraussetzung für das Kürzungsrecht ist, dass ein Pflichtteilsanspruch geltend gemacht wurde. Dies erfordert, dass eine Inanspruchnahme des Erben durch den Pflichtteilsberechtigten vorliegt, die den Erben wirtschaftlich belastet. Jedoch entfällt das Kürzungsrecht nicht mehr, wenn der Pflichtteilsanspruch später schenkungsweise dem Erben erlassen wird. Es soll aber dann nicht bestehen, wenn der Pflichtteilsanspruch bereits verjährt ist oder die Geltendmachung nur angekündigt wird. Diese unterschiedliche Bewertung der Entlastung des Erben vom Pflichtteilsanspruch erscheint willkürlich. Richtig ist, das Kürzungsrecht nur dann eingreifen zu lassen, wenn der Erbe mit einem Pflichtteilsanspruch tatsächlich wirtschaftlich belastet ist. Dementsprechend ist es richtig, das Kürzungsrecht nur bestehen zu lassen, wenn der Erbe im Innenverhältnis diese Pflichtteilslast mitzutragen hat. Wird in Unkenntnis des Leistungsverweigerungsrecht geleistet, kann nach § 813 BGB kondiziert werden.
Praxishinweis
In der Praxis tritt nicht selten das Problem auf, dass der Vermächtnisnehmer die Höhe des Kürzungsrechts nicht anerkennt, weil er geltend macht, dass der Erbe einen zu hohen Pflichtteilsanspruch erfüllt hätte. Dabei ist der Vermächtnisnehmer auch an ein hierüber zwischen dem Erben und dem Pflichtteilsberechtigten ergangenes Urteil nicht gebunden, es entfaltet keine Rechtskraft gegen ihn. Hiergegen hilft nur eine rechtzeitige Streitverkündung (§ 68 ZPO).