Dr. iur. Alexander Weinbeer
Rz. 75
Relevant sind auch die tariflichen Ausschlussfristen, die im Gegensatz zu den bereits genannten gem. § 4 Abs. 4 S. 3 TVG nicht gesetzlich geregelt sind, sondern nur im Tarifvertrag selbst vereinbart werden können. Sie kommen in einer Vielzahl von Tarifverträgen vor. Der Grundsatz, dass ein Anwalt jeden Irrtum zu vertreten hat, ist daher auch auf die fehlende Kenntnis tarifvertraglichen Ausschlussfristen anwendbar.
Rz. 76
Die tarifvertraglichen Ausschlussfristen laufen auch, selbst wenn sie dem Arbeitnehmer unbekannt sind und er von der Ausschlussfrist keine Kenntnis hatte. Der Arbeitgeber ist nur verpflichtet, den Arbeitnehmer auf den Tarifvertrag hinzuweisen, in dem die Ausschlussfrist enthalten ist, eines gesonderten Hinweises auf diese Frist bedarf es aber nicht. Daher darf sich der Anwalt nicht auf die Auskunft des Arbeitnehmers verlassen, sondern muss umfassende eigene Aufklärungsarbeit betreiben. Auch hat er zu prüfen, ob die Ausschlussfristen wirksam in den Vertrag mit einbezogen wurden. Die tariflichen Ausschlussfristen unterliegen aber keiner AGB-Kontrolle nach §§ 305 ff. BGB.
Rz. 77
Bestimmt eine tarifliche Ausschlussklausel, dass Ansprüche nach erfolgloser schriftlicher Geltendmachung innerhalb einer bestimmten Frist gerichtlich geltend gemacht werden müssen, so genügte nach der ständigen Rechtsprechung des BAG nur die fristgerechte Zahlungsklage. Dies galt auch dann, wenn es sich um Zahlungsansprüche eines Arbeitnehmers handelt, die vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses abhängen. Die Erhebung der Kündigungsschutzklage allein konnte die Ausschlussfrist nicht wahren.
Rz. 78
Allerdings sind laufende Klageerweiterungen auf Lohnfortzahlung, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mit Verweis auf dessen Kündigung erst einmal verweigert, weil er der irrigen Annahme unterliegt, seine Kündigung sei wirksam, mit zusätzlichen Kostenrisiken und prozessualen Risiken für den Arbeitnehmer verbunden. Die Einforderung einer solchen Handhabung durch den Arbeitnehmer hat das Bundesverfassungsgericht als unvereinbar mit dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes und als verfassungswidrig angesehen.
Rz. 79
Vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat das BAG entschieden, dass der Arbeitnehmer durch Erhebung einer Kündigungsschutzklage oder auch einer Bestandsschutzklage nunmehr nicht nur die erste Stufe einer tariflichen Ausschlussfrist einhält, sondern auch die zweite Stufe, sofern es Ansprüche, die vom Ausgang einer Bestandsschutzstreitigkeit abhängig sind, betrifft. Daraus folgt, dass die vom Ausgang einer Kündigungsschutzklage abhängigen Lohnansprüche daher nicht verfallen, wenn der Arbeitnehmer es unterlässt, im Laufe des Prozesses seine Klage immer erneut um die laufend fällig werdenden Lohnansprüche zu erweitern.