Dr. iur. Alexander Weinbeer
Rz. 332
Bei der Beratung Pflichtteilsberechtigter können sich sehr haftungsträchtige Beratungsfehler ergeben.
Rz. 333
Oftmals ergeben sich diese Fehler im Zusammenhang mit der Beratung über die Ausschlagung der Erbschaft. Ist ein Pflichtteilsberechtigter, der mit einem Erbteil, der kleiner oder gleich dem Pflichtteil ist, bedacht, so darf er diesen Erbteil keinesfalls ausschlagen, er würde dadurch nicht den Pflichtteil erwerben, sondern nur den Differenzbetrag zwischen dem zugewendeten Erbteil und dem Pflichtteil.
Rz. 334
Ein Rechtsanwalt ist zwar grds. zur allgemeinen und möglichst ausschöpfenden rechtlichen Beratung gehalten, insbesondere auch in einer erbrechtlichen Angelegenheit betreffend Pflichtteilsansprüche. Auch muss er Zweifel und Bedenken, zu denen Anlass besteht, darlegen und mit den Mandanten erörtern, um diese von Nachteilen zu bewahren. Daraus mag sich auch das Erfordernis eines steuerlichen Grundverständnisses ergeben. Allerdings ist der Anwalt nicht verpflichtet auch über einen von der Frage des Pflichtteilsanspruches losgelösten Aspekt der möglichen Steuerpflichtigkeit der künftigen Veräußerung eines Grundbesitzes aufzuklären und derartige Überlegungen in einen Prozess einzubringen. Der Verweis des Mandanten durch den Anwalt an einen Steuerberater genügt, um einer anwaltlichen Haftung zu entkommen.
Rz. 335
Regressträchtig für den Anwalt ist auch die Beratung eines Pflichtteilsberechtigten, dem nur ein Vermächtnis hinterlassen wurde. Um den Pflichtteil zu erlangen, der das Vermächtnis übersteigt, muss das Vermächtnis gem. § 2307 Abs. 1 S. 1 BGB ausgeschlagen werden. Zunächst muss aber vor Ausschlagung des Vermächtnisses, dieses ist grds. unwiderruflich, geprüft werden, ob der Pflichtteilsanspruch noch durchsetzbar ist oder bereits verjährt ist. Für Vermächtnis und Pflichtteil gilt einheitlich die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB. Zu beachten ist jedoch, dass der Verjährungsbeginn ein unterschiedlicher sein kann.
Rz. 336
Fehler können sich auch bei der Geltendmachung von Ansprüchen von Ehegatten hinsichtlich des Pflichtteils ergeben. Der überlebende Ehegatte, der mit dem Erblasser bei dessen Tod im Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt hat und weder Erbe noch Vermächtnisnehmer ist, ist gem. § 1371 Abs. 2 BGB stets auf den kleinen Pflichtteil in Höhe von ⅛ des gesetzlichen Erbteils und im Übrigen darauf angewiesen, den Ausgleich eines etwaigen Zugewinns, der jedoch konkret berechnet sein muss, nach den güterrechtlichen Bestimmungen gem. § 1371 Abs. 2 BGB zu verlangen. Ist der Ehegatte jedoch mit einem Vermächtnis bedacht worden, so kann er den großen Pflichtteil in Höhe von ¼ des gesetzlichen Erbteils verlangen. Relevant ist dies im Hinblick auf eine eventuelle Ausschlagung des Vermächtnisses. Berät der Anwalt einen Ehegatten nach dem Erbfall, kann dies nach genauer Prüfung im Ergebnis dazu führen, dass der ausschlagende Ehegatte mehr erhält, als wenn er die Erbschaft annimmt.
Rz. 337
Ein pflichtteilsberechtigter Abkömmling ist nach dem Gesetz berechtigt, vollständige Auskunft über den Nachlass durch den Erblasser zu erhalten. Wurde dieser Auskunftspflicht durch den Erblasser zu Lebzeiten nicht entsprochen, geht die Verpflichtung über die korrekte Auskunft und eine etwaige, mit Zahlungsansprüchen versehene, Haftung auf den Erben über. In der Erfüllung eines Auskunftsverlangens gem. § 2314 BGB kann nach den Umständen des Einzelfalles ein Anerkenntnis des Pflichtteilsrechts der die Auskunft fordernden Person liegen, das den Neubeginn der Verjährung des Pflichtteilsanspruchs zur Folge hat. Ein solches Anerkenntnis umfasst jedoch keine Pflichtteilsergänzungsansprüche, die zuvor nicht geltend gemacht worden waren. Trotz Verjährung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs kann ein umfassender Auskunftsanspruch gem. § 2314 BGB gegeben sein, soweit an der Auskunftserteilung ein rechtliches Interesse – z.B. zur Vorbereitung eines Anwaltsregresses wegen der Verjährung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs – besteht.