Dr. iur. Alexander Weinbeer
Rz. 383
Die Gerichte beherzigen bei der Auslegung von § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB nicht immer die Grundsätze, welche das BVerfG in Bezug auf Güte- und Schlichtungsverfahren, die nach § 278 ZPO, § 15a EGZPO obligatorisch sind, aufgestellt hat, und die sich Fachgerichte auch in evident aussichtslosen Konstellationen immer wieder zu eigen machen, eine Güteverhandlung ohne Rücksicht auf § 278 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 ZPO anzuberaumen. Anwälten ist in derartigen Konfliktlagen davon abzuraten, ihren Mandanten trotzdem zu empfehlen, den Versuch einer gütlichen Einigung mit ihren Gegnern zu unternehmen.
Rz. 384
Denn der IV. Zivilsenat des BGH hat es in einer aktuellen Entscheidung als rechtsmissbräuchlichen Rückgriff auf das Güteverfahren bezeichnet,
Zitat
"wenn schon vor der Einreichung des Güteantrags feststeht, dass der Antragsgegner nicht bereit ist, an einem Güteverfahren mitzuwirken und sich auf eine außergerichtliche Einigung einzulassen und er dies dem Antragsteller schon im Vorfeld in eindeutiger Weise mitgeteilt hat";
den dennoch unternommenen Versuch einer solchen gütlichen Einigung sanktioniert der BGH mit einem Entzug auf die Berufung auf die in § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB angeordnete Rechtsfolge.
Rz. 385
Bei einer derartigen Ausgangslage wäre nach Einschätzung des IV. Zivilsenat des BGH
Zitat
"von vornherein sicher, dass der Zweck des außergerichtlichen Güteverfahrens – die Entlastung der Justiz und ein dauerhafter Rechtsfrieden durch konsensuale Lösungen (BT-Drucks 14/980, 1, 5) nicht erreicht werden kann, weshalb sich eine gleichwohl erfolgte Inanspruchnahme der Gütestelle als rechtsmissbräuchlich erweist. Als Rechtsfolge einer derartigen missbräuchlichen Inanspruchnahme des Verfahrens ist es dem Gläubiger gemäß § 242 BGB verwehrt, sich auf eine Hemmung der Verjährung durch Bekanntgabe des Güteantrags zu berufen".
Rz. 386
Welche Schwierigkeiten sich dabei in der praktischen Handhabung ergeben, zeigen die Ausführungen des BVerfG, das die Einrichtung und Durchführung einer obligatorischen Schlichtung nach § 15a EGZPO im Lichte von Art. 19 Abs. 4 GG für unkritisch hielt, auch wenn vorprozessual unternommene Versuche eines Täter-Opfer-Ausgleichs nach § 46a StGB und eines Vergleichsabschlusses unter Zuhilfenahme anwaltlicher Beistandschaft schon gescheitert waren. Denn das BVerfG billigte dem Gesetzgeber zu, auch bei derartigen Umständen davon ausgehen zu können, dass dies "nicht zwingend auf die Aussichtslosigkeit eines Schlichtungsverfahrens hindeutet".
Rz. 387
Das BVerfG verwies dabei auf das berechtigte gesetzgeberische Anliegen für eine einverständliche Streitbewältigung, nämlich die beschleunigte Konfliktlösung, die Förderung des Rechtsfriedens und die Entlastung der Gerichte. Zudem betonte es die Unterschiede zwischen den direkten Verhandlungen der Parteien untereinander und Gesprächen unter Einbeziehung von neutralen Mittlern, weshalb
Zitat
"der Schluss vom Scheitern der Gespräche zwischen “Gegnern‘ auf die Aussichtslosigkeit einer unter Vermittlung eines neutralen Dritten geführten Schlichtungsverhandlung […] nicht ohne weiteres gerechtfertigt"
ist, und verwies ergänzend auf die Vergleichspraxis im kontradiktorischen Zivilverfahren, wo Einigungen selbst in II. und III. Instanz nicht unüblich sind.
Rz. 388
Der VI. Zivilsenat des BGH merkte im Anschluss an die vorzitierte Entscheidung des BVerfG vom 14.2.2007 an, dass in Schlichtungsverfahren Umstände eine Rolle spielen können, die in einem Prozess völlig irrelevant sind, sodass es auch bedeutungslos sei, wenn der Gegner das Verfahren zur gütlichen Einigung als aussichtslos bezeichnet.Greger weist in seiner Kommentierung zu § 278 ZPO darauf hin, dass auch bei völlig zerstrittenen Parteien eine evidente Aussichtslosigkeit des Güteversuchs nicht zwangsläufig anzunehmen ist, weil der Richter vermitteln könne.
Rz. 389
Demgegenüber hält der Bayer. VGH bei Nichtvorliegen konkreter Anhaltspunkte für einen "aussichtsreichen" Versuch einer Einigung die Ausnahmeregelung des § 278 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 ZPO – über § 173 VwGO – für einschlägig und deshalb die Durchführung eines Güteversuchs für entbehrlich. Der Meinung von Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, die in diesem Kontext von weiten Ermessenspielräumen sprechen, die "zugleich segensreich und gefährlich" sind, kann nur beigepflichtet werden.
Rz. 390
Nach dem Urteil des IV. Zivilsenat des BGH vom 28.10.2015 überwiegend mittlerweile eindeutig die gefährlichen Elemente, weil nicht sicher gesagt werden kann, in welchen Fällen von Gerichten eine vorherige, eindeutige Ablehnung des Güteverfahrens durch den Antragsgegner angenommen und damit das gewählte Verfahren unstatthaft und rechtsmissbräuchlich ist. Die damit einhergehenden Folgen in der verjährungsrechtlichen Beurteilung gem. § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB müssen Anwälte dem Gebot des sichersten Weges folgend ausschließen und sofort Klage erheben oder einen Mahnbescheid beantragen, auch wenn dies der vom IV. Zivilsenat des BGH propagierten Entlastung d...