Dr. iur. Alexander Weinbeer
Rz. 56
Ausschlussfristen dienen der Rechtsicherheit und dem Rechtsfrieden im Vertragsverhältnis. Zu unterscheiden sind einstufige und zweistufige Ausschlussfristen.
Rz. 57
Einstufige Ausschlussfristen sehen vor, dass die Ansprüche bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nach Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei geltend gemacht werden müssen. Dabei wird meistens verlangt, dass die Geltendmachung schriftlich erfolgt. Allerdings genügt es für die schriftliche Geltendmachung eines Anspruchs zwecks Einhaltung einer Ausschlussfrist, wenn das Aufforderungsschreiben dem Arbeitgeber nur per Telefax zugeht oder auch per E-Mail. Eine Klage ist dagegen nicht stets erforderlich.
Rz. 58
Zweistufige Ausschlussfristen verlangen, dass man nach der (schriftlichen) Geltendmachung seiner Forderung innerhalb einer weiteren Ausschlussfrist Klage beim Arbeitsgericht erheben muss, falls die Gegenseite die Leistung verweigert.
Rz. 59
Umstritten war und ist, ob in der Erhebung einer Kündigungsschutzklage auch die konkludente Geltendmachung von (Annahmeverzugs-)Lohnansprüchen und sonstiger auf Zahlung gerichteter Ansprüche zu sehen ist, welche ein- und zweistufige Ausschlussfristen wahren kann.
Rz. 60
Nach einer Einschätzung des 5. Senats des BAG vom 26.4.2006 soll eine Kündigungsschutzklage
Zitat
"die wirksame Geltendmachung von Ansprüchen aus Annahmeverzug [beinhalten], wenn die Verfallklausel nur die Geltendmachung der Ansprüche fordert, [da dabei…] nicht zwischen formlosem und schriftlichem Verlangen unterschieden" [wird. Hingegen] "ist die Kündigungsschutzklage allerdings nicht geeignet, eine Ausschlussfrist zu wahren, mit der die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen verlangt wird".
Rz. 61
Daneben hat der 5. Senat des BAG – in Bezug auf eine individuell vereinbarte Verfallklausel – im März 2008 ausgeführt, was folgt:
Zitat
"Das in einer einzelvertraglichen Ausschlussfrist in der zweiten Stufe enthaltene Erfordernis des Einklagens von Annahmeverzugsansprüchen, die von einem Kündigungsschutzprozess abhängen, verlangt aus der Sicht des Durchschnittsarbeitnehmers nicht mehr als die Erhebung der Kündigungsschutzklage selbst."
Rz. 62
In Reaktion auf eine die Verfassungsbeschwerde des Arbeitnehmers stattgebende Entscheidung des BVerfG vom 1.12.2010 legt der 5. Senat des BAG inzwischen auch
Zitat
"tarifvertragliche Ausschlussfristen, die eine rechtzeitige gerichtliche Geltendmachung vorsehen, […] verfassungskonform dahingehend aus […], dass die vom Erfolg einer Bestandsschutzstreitigkeit abhängigen Ansprüche bereits mit der Klage in der Bestandsstreitigkeit gerichtlich geltend gemacht sind".
Rz. 63
Andere Stimmen meinten, dass eine Bestandsklage bei zweistufigen Ausschlussfristen schon nicht der Geltendmachung gem. der ersten Stufe genügt, weil unterschiedliche Streitgegenstände vorliegen und zudem – so der 9. Senat des BAG in einem Urt. vom 24.8.1999 –
Zitat
"bei einer zweistufigen Ausschlussfrist Interessen des Arbeitnehmers nicht ohne weiteres für die Annahme [sprächen], er wolle mit der Bestandsklage die Frist zur schriftlichen Geltendmachung der Zahlungsansprüche wahren".
Rz. 64
In einer Entscheidung vom 17.10.2017 bejahte wiederum der 9. Senat des BAG trotz rechtzeitig eingereichter Kündigungsschutzklage den Verfall von Urlaubsabgeltungsansprüche, weil die Bestandschutzklage neben dem Erhalt des Arbeitsplatzes zwar auch bezweckt, "sich die vom Erfolg der Kündigungsschutzklage abhängigen Ansprüche, insbesondere die Vergütungsansprüche wegen Annahmeverzugs zu erhalten". Wenn aber ein Anspruch "nicht an den Erfolg der Kündigungsschutzklage, den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, an[knüpft]", sei die Rechtsprechung des BVerfG und des 5. Senats des BAG nicht einschlägig.
Rz. 65
Praxistipp
Nach den vorstehend wörtlich wiedergegebenen Urteilsbegründungen zweier unterschiedlicher Senate des BAG ist nicht zweifelsfrei klar, ob mit einer Bestandsklage auch die außerprozessuale und/oder gar die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen bei zweistufigen Verfallsfristen einhergeht. Hier sollte man kein wissenschaftliches Experimentierfeld zur Frage, welche Ansprüche vom Erfolg einer Kündigungsschutzklage abhängen, aufbauen und generell gesondert sowie eindeutig bestimmt diejenigen Ansprüche außergerichtlich und ggf. gerichtlich geltend machen, für die eine Verfallsfrist geregelt ist, sei sie einstufig, sei sie zweistufig. Die vorstehende Empfehlung ist auch deshalb veranlasst, weil ungeachtet der Ausschlussfristen auch die allgemeinen Verjährungsfristen zu beachten sind, für welche die Grundsätze über die Wahrung von Ausschlussfristen durch Bestandsschutzklage mangels Identität der Streitgegenstände von Kündigungsschutzklage und Zahlungsklage nicht gelten.