Dr. iur. Alexander Weinbeer
Rz. 45
Spricht ein Anwalt die Kündigung für den Mandanten aus, ist eine Originalvollmacht vorzulegen, weil sonst eine unverzügliche Zurückweisung der Erklärung mit der Folge der Unwirksamkeit der Kündigung und entsprechenden finanziellen Nachteilen bis hin zum Ausschluss des Kündigungsrechts wegen Fristablaufs nach § 626 Abs. 2 BGB droht.
Rz. 46
Wenn ein Anwalt mit der Abwehr der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses betraut wird, hat er den Mandanten darüber aufzuklären, bis zu welchem Endtermin eine Kündigungsschutzklage zu erheben ist und welche Konsequenzen die Versäumung dieser Frist (siehe Rdn 32 ff.) hat. Ein Anwalt muss die für die Fristberechnung einer Kündigungsschutzklage maßgebenden Umstände durch eingehendes Befragen aufklären.
Rz. 47
Des Weiteren hat der Mandant oftmals auch ein finanzielles Interesse bei Erhebung der Kündigungsschutzklage, über das der Anwalt beraten muss, bspw. im Hinblick auf bereits entstandenen und künftig entstehenden Lohnausfall. Wird einem Arbeitnehmer im Zuge einer Betriebsänderung gekündigt, so hat die mit der Erhebung der Kündigungsschutzklage beauftragte Gewerkschaft bzw. deren Rechtsstelle den Arbeitnehmer auch über den Nachteilsausgleichsanspruch aus § 113 Abs. 3 BetrVG zu beraten.
Rz. 48
Der Anwalt haftet seinem Mandanten für die nachteiligen Folgen einer verspäteten Kündigungsschutzklage nur, wenn der Mandant den Prozess gewonnen hätte. Die Behauptung des Arbeitnehmers, der Kündigungsschutzprozess wäre zu seinen Gunsten entschieden worden, wenn der Prozessbevollmächtigte nicht zu dem tatsächlich abgeschlossenen Minimalvergleich geraten hätte, ist im Regressprozess gegen den Anwalt unerheblich, wenn sich Inhalt und finanzielle Folgen eines Urteils über die Kündigungsschutzklage nicht feststellen lassen. Beweisbelastet ist der Arbeitnehmer.
Rz. 49
Ein Anwalt handelt fahrlässig, wenn er eine Kündigungsschutzklage nur gegen eine zweite Kündigung erhebt, obwohl er Anhaltspunkte dafür hat, dass dem Mandanten möglicherweise zuvor schon einmal gekündigt worden ist. Verletzt der Mandant dadurch schuldhaft seine Informationspflicht und wird das Informationsverschulden mitursächlich für den letztlich durch eine anwaltliche Fehlleistung eingetretenen Schaden, kann der Schadensersatzanspruch durch Mitverschulden gemindert sein.
Rz. 50
Erhebt ein Arbeitnehmer nach anwaltlicher Beratung keine Kündigungsschutzklage, so liegt eine Pflichtverletzung des Anwalts nur dann vor, wenn er gehalten gewesen wäre, seinem Mandanten die Erhebung einer Kündigungsschutzklage anzuraten. Ein Rat zu einem bestimmten Verhalten muss aber nicht erteilt werden, wenn dem Mandanten aufgrund seiner Interessenlage verschiedene vertretbare Handlungsmöglichkeiten offenstehen. Hier genügt es, wenn der Rechtsanwalt seinen Mandanten durch umfassende Belehrung über Risiken und Chancen seines Begehrens in die Lage versetzt, eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen.
Rz. 51
Eine Pflichtverletzung ist allerdings nicht darin zu sehen, dass der Rechtsanwalt dem Mandanten nach Bejahung der Erfolgsaussichten zu einer Kündigungsschutzklage geraten hat, dann im Verlaufe des Verfahrens nach der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht und Vergleichserörterungen einen Vergleich abschloss, wonach die damaligen Parteien sich auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Maßgabe einigten, dass der Arbeitgeber sich zur Erteilung eines Arbeitszeugnisses mit einer näher bezeichneten Leistungsbewertung verpflichtete. Die Erhebung einer Kündigungsschutzklage ist allein im Hinblick auf die kurze 3-Wochenfrist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage geboten.
Rz. 52
Bei Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Kündigungsschutzkläger muss der Anwalt auf die Möglichkeit hinweisen, einen Auflösungs- und Abfindungsantrag gem. §§ 9, 10 KSchG zu stellen.
Rz. 53
Sind die Chancen gut, eine Kündigungsschutzklage zu gewinnen, weil der Kleinstbetriebseinwand nach § 23 Abs. 1 KSchG greifen könnte, so muss dieser im Kündigungsschutzprozess vorgetragen werden, um den Mandanten vor einem vorhersehbaren und vermeidbaren Prozessverlust zu bewahren. Als gefahrenträchtig ist § 23 KSchG aber auch wegen seiner häufigen, an der jeweiligen politischen Großwetterlage ausgerichteten Änderungen zu bezeichnen, die zu einer exakten Ermittlung der im konkreten Fall einschlägigen Fassung anhand der Übergangsvorschriften nötigt.