Dr. iur. Alexander Weinbeer
Rz. 445
Die Forderung nach Einhaltung der Formalien ist aber auch deshalb veranlasst, weil nach der schon zu § 209 Abs. 2 Nr. 4 BGB a.F. ergangenen Rechtsprechung des BGH – und insoweit liegt jedenfalls nach bisherigen Verständnis zu den Hemmungstatbeständen des § 204 Abs. 1 BGB eine Ausnahme vor – nur eine “materiell‘ zulässige und den Anforderungen der §§ 72, 73 ZPO genügende Streitverkündung die Hemmung der Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB herbeiführen kann.
Rz. 446
Streitverkündungen kommen neben den gesetzlich normierten Fällen der "Ingewährnahme" und "Schadloshaltung" nach § 72 ZPO nur bei – rechtlich oder tatsächlich – alternativer Schuldnerschaft in Betracht, nicht hingegen bei Fällen kumulativer oder subsidiärer Eintrittspflicht mehrerer Beteiligter. Eine unzulässige Streitverkündung hatte der BGH bereits bei solchen Ansprüchen erwogen,
Zitat
"für die also aus der Sicht des Streitverkünders schon im Zeitpunkt der Streitverkündung eine gesamtschuldnerische Haftung des Beklagten und des Dritten in Betracht kommt".
Rz. 447
Es reicht aus, ist aber auch erforderlich, dass allgemein eine Fallkonstellation vorliegt, bei welcher der Drittanspruch des Streitverkünders zu seiner Rechtsposition im Erstprozess in einem Alternativverhältnis im Sinne wechselseitiger Ausschließung steht. Eine derartige Alternativität muss weder eine rechtliche sein, sodass – entgegen der bis vor kurzem wohl als herrschend zu bezeichnenden Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum – auch Faktenalternativität genügt, noch muss sie eine ausschließliche sein, sodass eine alternative Verpflichtung für einen Teil des geltend gemachten Anspruchs genügt, um in zulässiger und den gesamten Anspruch hemmender Weise den Streit zu verkünden.
Rz. 448
Das bei der erweiterten, über den Wortlaut des § 72 ZPO hinausgehenden Anwendung der Vorschrift für eine zulässige Streitverkündung erforderliche Alternativverhältnis kann auch aus tatsächlichen Gründen bestehen; es muss sich entgegen einer früher vertretenen Meinung nicht um eine rechtliche Alternativität handeln. Außerdem braucht das Vorliegen des Alternativverhältnisses nicht von vornherein festzustehen und auch nicht umfangsmäßig in Bezug auf den gesamten Anspruch bestehen; hinsichtlich dieser Voraussetzungen sind auch keine Differenzierungen zwischen Streitverkündungen in einem selbstständigen Beweisverfahren und solchen in einem Rechtsstreit geboten.
Rz. 449
Für die Wirksamkeit der Streitverkündung ist allein die berechtigte Annahme des Streitverkünders ausschlaggebend, bei ungünstigem Ausgang des Rechtsstreits einen Anspruch auf Gewährleistung oder Schadloshaltung zu haben.
Rz. 450
Der BGH hat schon in einer Leitentscheidung vom 18.12.1961 zur Wirksamkeit einer Streitverkündung zur Schadloshaltung ausgeführt, was folgt: Es
Zitat
"ist nicht nötig, daß die Entscheidung des Prozesses einen Anspruch auf Gewährleistung oder Schadloshaltung begründet oder feststellt, sondern es kommt auf den Glauben und die Besorgnis der Partei an, also auf ihre Vorstellungen im Augenblick der Streitverkündung. Dafür genügt ein Sachverhalt, der es nahelegt, daß bei einem ungünstigen Ausgang des Rechtsstreits mit einiger Sicherheit Ersatzansprüche entstehen, erkannt oder geklärt werden."
Rz. 451
An der Rechtsprechung, wonach
Zitat
"eine Streitverkündung u.a. dann zulässig [ist], wenn die Partei (hier: die Klägerin) im Zeitpunkt der Streitverkündung aus in diesem Augenblick naheliegenden Gründen für den Fall des ihr ungünstigen Ausganges des Rechtsstreits einen Anspruch auf Gewährleistung oder “Schadloshaltung‘ gegen einen Dritten (hier: die Beklagte dieses Rechtsstreits) erheben zu können glaubt (BGHZ 8, 72, 80; 36, 212, 214/215)",
hielt der BGH auch in der Folgezeit fest.
Rz. 452
Ausschlaggebend ist somit allein die Annahme des Streitverkünders im Zeitpunkt der Streitverkündung, bei ungünstigem Ausgang des Rechtsstreits einen Anspruch auf Gewährleistung oder Schadloshaltung zu haben.
Rz. 453
Es ist und bleibt gleichgültig, welchen Ausgang der Rechtsstreit im Endergebnis tatsächlich nimmt. Denn die vom BGH schon im Urt. v. 18.12.1961 benutzten Worte "Glaube", "Besorgnis" und "Vorstellungen im Augenblick der Streitverkündung" und der Wortlaut des § 73 ZPO zeigen, dass es für die Zulässigkeit einer wirksamen Streitverkündung nicht auf eine rechtsbeständige und zutreffende Bewertung des Streitverkünders im Zeitpunkt der Streitverkündung, sondern lediglich auf seine Besorgnis zu jenem Zeitpunkt und eine entsprechende Prognose ankommt.
Rz. 454
Eine "richtige" Annahme ist nicht Voraussetzung, sonst
Zitat
"wäre den Parteien eine verlässliche Einschätzung der Frage, ob eine Streitverkündung zulässig ist, über die Maßen erschwert."; "Die exakte Einschätzung […] würde jedenfalls an die Prognose des Streitverkünders überzogene Anforderungen stellen". Nur dort, wo "der Streitverkündungsempfänger willkürlich in einen ihn in keiner Weise betreffenden Prozess hineingezogen wird und daran materiell-rechtliche Folgen g...