Dr. iur. Alexander Weinbeer
Rz. 24
Um das Arbeitsrecht kommt kaum ein Anwalt herum. Für die kleineren Kanzleien ohne Spezialisierung stellte es vor allem durch Kündigungsschutzklagen für rechtsschutzversicherte Arbeitnehmer, die nicht selten rasch mit einem Vergleich vor den Arbeitsgerichten beendet werden, eine lukrative Einnahmequelle dar. Vor allem spezialisierte und größere Einheiten haben es bei der Betreuung deutscher und ausländischer Unternehmen neben allen möglichen Fragen des Individualarbeitsrechts auch mit Themen auf dem Gebiet des Kollektivarbeitsrechts, etwa bei Umstrukturierungen von Unternehmen oder M&A-Transaktionen, oder im Bereich "Compliance" zu tun, wo häufig auch Probleme im grenzüberschreitenden und europarechtlichen Kontext zu lösen sind.
I. Rechts- und Rechtsprechungskenntnisse
Rz. 25
Das Arbeitsrecht erfordert aufgrund dieser Vielgestaltigkeit umfassende Kenntnisse der einschlägigen Normen und Rechtsprechung. Rechtsprüfung und Rechtsberatung setzen zwingend die Kenntnis der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung und der Rechtsnormen voraus, zu denen auch die auf der Grundlage von Bundesgesetzen erlassenen Rechtsverordnungen oder im deutschen Recht umgesetzte Vorgaben etwa aus dem Europarecht sowie die Vorschriften einschlägiger Tarif- bzw. Manteltarifverträge oder ergänzender Betriebsvereinbarungen und bloßer betrieblicher Übungen gehören.
Rz. 26
Notfalls muss sich der anwaltliche Berater die erforderlichen Rechtskenntnisse verschaffen, soweit sie nicht zu seinem präsenten Wissen gehören, und sich auch in eine Spezialmaterie einarbeiten. Der Anwalt ist demnach verpflichtet, auch entlegene Rechtsmaterien in die Rechtsberatung einfließen zu lassen. Der arbeitsrechtlich tätige Anwalt muss sich daher nach Ansicht des BGH unter Umständen auch beim gegnerischen Arbeitgeber vergewissern, dass Manteltarifverträge nicht auf das nämliche Mandat "ausstrahlen", und zwar selbst dann, wenn seinem Mandanten eine darauf beruhende Betriebsvereinbarung oder betriebliche Übung unbekannt geblieben ist.
Rz. 27
Trotz der immer wieder geäußerten Kritik an einem damit einhergehenden Erfordernis der lückenlosen Kenntnis von Gesetzen, Rechtsprechung, Schrifttum und gar von Parteigepflogenheiten, haben auch die Rechtsprüfung und Rechtsberatung ihre Grenzen. In ständiger Rechtsprechung fordert der BGH von der Anwaltschaft nur mandatsbezogene Rechtskenntnisse zum Zeitpunkt der Beratung ein und räumt ihr bei gesetzlichen und judikativen Neuerungen einen realistischen Toleranzzeitraum ein, innerhalb dessen neue oder geänderte Rechtsvorschriften oder Gerichtsentscheidungen zur Kenntnis genommen werden müssen. Das Erfordernis der mandatsbezogenen Rechtskenntnisse kann entlastend sein, da der Rechtsanwalt sich danach nur diejenigen Kenntnisse verschaffen muss, die Ziel und Gegenstand des Mandats betreffen und deshalb zur fehlerfreien Auftragserledigung nötig sind.
Rz. 28
Praxistipp
Es ist Anwälten zu empfehlen, dass sie sich über die einschlägigen rechtlichen Rahmenbedingungen in jedem einzelnen arbeitsrechtlichen Mandat versichern, indem sie sich vom Mandanten, von Mitarbeitervertretungen im Betrieb bzw. dem Arbeitgeber selbst oder auch – entgeltlich – von den meist gewerkschaftsnahen Tarifvertragsarchiven und -registern sämtliche Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen im Volltext bzw. die Informationen über betriebliche Übungen verschaffen.
II. Fristen
Rz. 29
Das Arbeitsrecht hält eine Vielzahl von Fristen parat, die nicht mit den allgemeinen prozessualen und materiellen Fristen deckungsgleich sind, weil das gesamte Arbeitsrecht vom sog. Beschleunigungsgrundsatz geprägt ist (vgl. auch § 9 Abs. 1 ArbGG).
1. Prozessuale Fristen
Rz. 30
Ausfluss des arbeitsrechtlichen Beschleunigungsgrundsatzes, der sich auch in der Pflicht der Arbeitsgerichte zur besonderen und vorrangigen Förderung von Kündigungsverfahren nach Maßgabe des § 61a ArbGG manifestiert, ist es bspw., dass
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die Frist zum Widerspruch gegen einen Mahnbescheid nur eine Woche beträgt, da gem. § 46a Abs. 3 ArbGG die in den Mahnbescheid nach § 692 Abs. 1 Nr. 3 der Zivilprozessordnung aufzunehmende Frist nur eine Woche beträgt; |
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die Zustellung der Klage mindestens eine Woche vor dem Verhandlungstermin ausreichend und eine Aufforderung an den Beklagten, sich auf die Klage schriftlich zu äußern, entbehrlich sind (§§ 47, 80 ArbGG, §§ 217, 274 ZPO); |
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Beschlüsse über die Ablehnung von Richtern nach § 49 Abs. 3 ArbGG unanfechtbar sind; die streitige Verhandlung sic... |