Dr. iur. Alexander Weinbeer
Rz. 435
Durch Gerichte übersehene, fehl- oder unbearbeitet gebliebene Schriftsätze sind auch bei der Verjährungshemmung durch Streitverkündung gefahrenträchtig. Hinzu kommt, dass seit jeher von der Rechtsprechung die Ansicht vertreten wird, dass nur eine zulässige Streitverkündung die Verjährung hemmen kann.
aa) Inhalt und Übermittlung der Streitverkündungsschrift
Rz. 436
Für Streitverkünder kann die gerichtliche Sachbehandlung Nachteile mit sich bringen, weil nach § 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB nur die Zustellung der Streitverkündungsschrift beim Streitverkündungsempfänger die Verjährung hemmt und dem Streitverkündenden sich die Abläufe der Sachbehandlung durch die Gerichte, die grds. von Amts wegen die Streitverkündung zuzustellen haben, nicht erschließt und auch nicht zwingend erschließen muss, weil der Streitverkündungsempfänger dem Rechtsstreit nicht beitreten muss und sich passiv verhalten kann.
Rz. 437
Beispiel
In einem Ausgangsverfahren vor dem LG Aurich war einer Beteiligten der Streit verkündet worden, ohne dass die Streitverkündungsschrift dieser Beteiligten zugestellt worden ist. Allerdings hielt das LG Aurich im unstreitigen Tatbestand seines später verkündeten Urteils fest, dass der Beteiligten der Streit verkündet worden sei. Erst im Folgeprozess gegen die Beteiligte stellt sich heraus, dass diese Feststellung des LG Aurich fehlerhaft war, es keine wirksam zugestellte Streitverkündung gab und damit sämtliche Ansprüche verjährt waren. Der auf den Vorwurf eines Verjährenlassens gestützte Haftpflichtprozess gegen den Anwalt, der die Streitverkündungsschrift ausgebracht hatte, hatte nach erstinstanzlicher Klageabweisung beim OLG Oldenburg Erfolg, was vom BGH letztlich durch Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde bestätigt wurde.
Rz. 438
Auch hier weisen die Ausführungen des BGH und des BVerfG nach Einreichung von Prozesskostenhilfegesuchen und der unterbliebenen Bekanntgabeveranlassung durch Gerichte – s. dazu oben Rdn 401, 434 – aber zu einem Vorgehen, wie sich derartige Nachteile vermeiden lassen:
Rz. 439
Praxistipp
Es sollte gerade bei einer kurz vor Ablauf einer Verjährungsfrist ausgebrachten Streitverkündung mit Nachdruck und am besten schriftlich um eine Zustellung des Schriftsatzes und Bestätigung des Zustellungsaktes durch das Gericht gebeten und bei Unklarheiten vorsorglich auch Einsicht in die Gerichtsakten genommen werden. Außerdem sollte es unterbleiben, die Streitverkündung – wie es immer wieder festzustellen ist – irgendwo versteckt und unsystematisch zwischen den Seiten 5 bis 15 der fünften 50-seitigen Stellungnahme einzubauen, wo sie leicht von den Verfahrensbeteiligten übersehen wird. Die Einreichung einer ausdrücklich so bezeichneten, mit Vollrubrum und ausdrücklicher Beitrittsaufforderung am Schriftsatzanfang versehen Streitverkündungsschrift beugt derartigen Versehen vor.
Rz. 440
Ähnlich wie beim Güteverfahren (siehe Rdn 383 ff.) kann auch bei der Streitverkündung der Aspekt der Statthaftigkeit eine Rolle spielen, sodass sich der Anwalt über die Anforderungen genau ins Bild setzen muss. Aktuelles Beispiel dafür bildet eine Entscheidung des XI. Zivilsenats des BGH vom 19.9.2017, der es als nicht mit dem Charakter des Kapitalanleger-Musterverfahrens als Vorlageverfahren vereinbar bezeichnet, dass ein auf den Verfahrensabschnitt des Musterverfahrens bezogener Beitritt oder eine auf den Verfahrensabschnitt des Musterverfahrens bezogene Streitverkündung erfolgt. Wird dies aber erst letztinstanzlich vom BGH – wie bspw. in dem Beschl. v. 19.9.2017 – festgestellt, ist es häufig schon zu spät, um noch anderweitige verjährungshemmende Maßnahmen zu ergreifen.
Rz. 441
Weiterhin ist erforderlich, dass – was im Ausgangsprozess regelmäßig nicht geprüft wird –die Streitverkündung ihrerseits formal ordnungsgemäß und zulässig ist. Wesentlich hierfür ist das Vorliegen eines Streitverkündungsgrundes, nicht jedoch der Beitritt des Streitverkündungsempfängers. Um die Hemmung der Verjährung herbeizuführen, ist es erforderlich, den Interventionsgrund anzugeben und ihn so eindeutig zu bezeichnen, dass der Streitverkündungsempfänger erkennen kann, welcher möglichen Ansprüche sich der Streitverkündende ihm gegenüber berühmt. Ansprüche, die nicht aus der Streitverkündungsschrift hervorgehen, nehmen an der Hemmungswirkung sonst nicht teil.
Rz. 442
Praxistipp
Da eine formal fehlerhafte Streitverkündung keine Verjährungshemmung nach sich zieht, sollten der Grund der Streitverkündung und die Lage des Rechtsstreits gem. § 73 S. 1 ZPO mit größtmöglicher Sorgfalt angegeben und mit Bedacht erwogen werden, ob ein Fall zulässiger Streitverkündung nach § 72 Abs. 1 ZPO vorliegt. Grundvoraussetzung ist die berechtigte Hoffnung, im Falle des Prozessverlustes Ansprüche auf Gewährleistung oder Schadloshaltung oder – über den Wortlaut des §§ 72 Abs. 1 ZPO hinaus – sog. rein alternative Ansprüche zu haben, oder die Besorgnis, mit Ansprüchen eines Dritten konfrontiert zu sein.
Rz. 443
Hinsichtlich der Prozesslage sollte man sich aus anwaltlicher Vors...