Dr. iur. Alexander Weinbeer
Rz. 241
Was jüngeren Lesern aufgrund des erst kürzlich abgeschlossenen Studiums und frisch bestandener Examen vielleicht kaum entgehen mag, bildet in der Praxis immer wieder Anlass für Anwaltsregressfälle: Die Nichtbeachtung von Regelungen im allgemeinen Teil des BGB.
Rz. 242
Auch wenn es gerade für jüngere Menschen eine absolute Selbstverständlichkeit ist, in digitaler Form zu korrespondieren, ist es bis heute nicht möglich, im Wege einer normalen E-Mail mit Gerichten rechtsverbindlich zu kommunizieren. Das Gesetz sieht allein in den §§ 126 bis 126b BGB mit Schriftform, elektronische Form und Textform drei unterschiedliche Formen vor. Nach § 311b BGB bedürfen grundstücksbezogene Rechtsgeschäfte der notariellen Beurkundung, der nur ein gerichtliches Vergleichsprotokoll gleichkommt. Die Nichteinhaltung der Formvorgaben bedingt die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts nach § 125 BGB.
Rz. 243
Zugangsprobleme gibt es nicht nur etwa im Bereich der Einhaltung der Prozessförderungspflichten durch fristwahrende Übermittlung von Schriftsätzen und der Vollziehung von Eilentscheidungen durch Vollziehungszustellung (s. dazu unten Rdn 680 ff.), sondern auch bei der Abgabe von Willenserklärungen, die unter Abwesenden erst mit dem (rechtzeitigen) Zugang wirksam werden (§ 130 BGB).
Rz. 244
Beispiel
Bräuer nennt dazu als Beispiel den Fall des schwebend unwirksamen Vertragsschlusses durch vollmachtlose Vertreter, der nur binnen 2-Wochen-Frist genehmigt werden kann. Wird die Frist verpasst und bleibt deshalb der Vertragsschluss aus oder nur noch zu schlechteren Konditionen möglich, ist eine Haftung für die damit verbundenen finanziellen Folgen zu bejahen.
Rz. 245
Ähnlich ist es mit der Annahmefrist bei einem Angebot auf Abschluss eines Vertrags, dessen Bindung nach § 146 ZPO entfällt, wenn der Vertrag nicht rechtzeitig gem. den §§ 147 ff. BGB angenommen wurde. So wurde eine Syndika vom ArbG Hamburg zum Schadensersatz verurteilt, weil das Angebot eines Münchener Immobilienbesitzers auf Abschluss eines Geschäftsmietvertrags nicht rechtzeitig angenommen worden war und dann ein Alternativvertrag geschlossen werden musste.
Rz. 246
Mehr noch als bei der Wahrung gerichtlicher und prozessrechtlicher Fristen ist zu beachten, dass bei der Beurteilung der Rechtzeitigkeit im Sinne der § 130 BGB bzw. § 146 BGB auf den Zeitpunkt abzustellen ist, in dem nach der Verkehrsanschauung und ohne Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse des Empfängers von einem Zugang ausgegangen werden kann. Der Einwurf eines Briefes in den Briefkasten eines Geschäftsbetriebs am Silvesternachmittag, am Wochenende oder in den Abend- und Nachtstunden bewirkt daher regelmäßig erst am nächsten Werktag einen Zugang, was häufig schon zu spät ist.
Rz. 247
Praxistipp
Es empfiehlt sich also auch im rechtsgeschäftlichen Verkehr unverzügliches Handeln. Und es sollte mit Boten oder mit Telefax bzw. – soweit nach §§ 125 ff. BGB möglich – mit E-Mail gearbeitet werden, um durch Einlieferungsbeleg bzw. Sendeprotokolle einen rechtzeitigen Zugang rechtsgeschäftlicher Erklärungen belegen zu können.
Rz. 248
Auch die Loslösung von rechtsgeschäftlichen Beziehungen sollte mit Bedacht von Anwälten, die damit von ihren Mandanten betraut wurden, angegangen werden. Ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, ist nämlich gem. § 174 BGB unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist.
Rz. 249
§ 174 BGB findet bei einseitigen Rechtsgeschäften im Namen des Vertretenen wie Kündigungen, Anfechtungs-, Widerrufs- oder Rücktrittserklärungen, aber auch beim Widerspruch nach § 613a Abs. 6 BGB und – im Wege der Analogie – sonstigen rechtsgeschäftsähnlichen Handlungen wie Fristsetzungen, Mahnungen und Abmahnungen. Es empfiehlt sich daher für Anwälte vorsorglich immer, rechtsgeschäftliche und ähnliche Erklärungen nur unter Vorlage einer Vollmacht abzugeben.
Rz. 250
Mit Rücksicht auf die unterschiedlichen Rechtsfolgen, die das Gesetz an Kündigungs-, Anfechtungs-, Widerrufs- oder Rücktrittserklärungen knüpft, ist genau zu bedenken, welche Folgen herbeigeführt werden sollen. Soll es beim bisher erfolgten Leistungsaustausch bleiben, verbietet sich eine Anfechtung mit der möglichen Folge der ex-tunc-Nichtigkeit und der Rückgewähr aller gegenseitig empfangenen Leistungen. Es ist dann nur zur Kündigung zu raten. Andererseits kann es aber auch sein, dass man gerade wertlose Vertragsleistungen zurückhaben will, so dass vorsorglich jede Erklärung abgegeben werden sollte, mit der von Anfang an der Bestand eines Vertragsverhältnisses beseitigt wird.