Dr. iur. Alexander Weinbeer
I. Familiensachen
1. Allgemein
Rz. 264
Familienrechtliche Mandate sind in der Regel etwas Besonderes. Sie sind oft von Natur aus hoch komplex. Diese Komplexität wird noch gesteigert durch eine sich immer mehr ausdifferenzierende Rechtsprechung. Tiefe Einschnitte in das Leben der Mandanten bis hin zu Existenzängsten führen zu hohen Ansprüchen der Mandanten an ihre Anwälte.
Rz. 265
Es bedarf bei der Übernahme solcher Mandate umfangreicher Kenntnisse u.a. im Bereich des Güterstand-, Unterhalts-, Versorgungsrechts, andererseits müssen die umfangreichen Verfahrensvorschriften bei Familien-, Ehe- und Kindschaftssachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit beachtet werden. Der Anwalt hat sich bei Annahme familienrechtlicher Mandate umfassend über die aktuelle Gesetzeslage zu informieren.
Rz. 266
Eine Pflichtverletzung des Anwalts, der eine einschlägige Rechtsnorm übersehen hat, kann grundsätzlich nicht deshalb verneint werden, weil es sich dabei um eine entlegene Rechtsmaterie handelt. Fehler können dem Anwalt bei der Sachverhaltsermittlung, bei der materiell-rechtlichen Prüfung oder auch im Rahmen der Prozessführung unterlaufen. Besondere Relevanz hat dabei die Versäumung von Fristen, sei es von materiell-rechtlichen Ausschlussfristen Verjährungsfristen oder prozessualer Fristen (siehe Rdn 281).
2. Anfechtung der Vaterschaft
Rz. 267
Aufgabe des Anwalts, der zur Durchführung eines Scheidungsverfahrens beauftragt wurde, ist es, in dessen Rahmen zu klären, ob damit eine Vaterschaftsanfechtung durchgeführt werden soll.
Rz. 268
Im Rahmen eines Vaterschaftsanfechtungsverfahrens gem. § 1599 ff. BGB bestehen Haftpflichtgefahren des Anwalts nicht nur gegenüber dem auftragserteilenden Mandanten, sondern eventuell auch gegenüber einem vom Schutzzweck des Anwaltsvertrags erfassten Dritten.
Rz. 269
Der Anwalt haftet, sollte der Antrag wegen verschuldeter Nichteinhaltung der Anfechtungsfrist (vgl. auch Rdn 281, 495) gem. § 1600b Abs. 1 BGB abgewiesen werden, nicht nur gegenüber dem Mandanten, sondern auch gegenüber dessen leiblichen Kindern. Zur Erhebung der Anfechtungsklage sollte mit Blick auf die Anfechtungsfristen geraten werden.
3. Auskunftsverfahren
Rz. 270
Wesentliche Neuerungen, die mit Haftungsrisiken für Rechtsanwälte verbunden sind, sind die Erweiterungen der Auskunftsansprüche für die Berechnung des Zugewinnausgleichs sowie die Pflicht zur Vorlage von Belegen.
Rz. 271
Der Anwalt, der zur Beratung von Scheidungsfolgenvereinbarungen (vgl. auch Rdn 287 ff.), die sich unter anderem auf Zugewinnausgleich (vgl. auch Rdn 304 ff.) beziehen, herangezogen wird, hat das Anfangs- und das Endvermögen der Eheleute zu bestimmen und die sich daraus ergebenden Ausgleichsansprüche zu ermitteln.
a) Auskunft über das Anfangsvermögen
Rz. 272
Der auf Auskunft in Anspruch genommene Ehegatte hat alle Aktiva und Passiva seines ursprünglichen Anfangsvermögens so, wie sie am maßgeblichen Anfangsstichtag, welcher der Beginn der Zugewinngemeinschaft und somit in der Regel der Tag der Eheschließung ist, vorhanden waren, in einer geordneten und übersichtlichen Zusammenstellung im Sinne des § 260 Abs. 1 BGB aufzuführen. Die Verbindlichkeiten, die am Stichtag bestanden haben, sind auch dann aufzulisten, wenn ihnen gar keine oder nur Aktiva von geringerem Wert gegenüberstanden. § 1374 Abs. 1, 3 BGB erkennt als Berechnungselement für den Zugewinnausgleich auch ein negatives Anfangsvermögen an.
b) Auskunft über das Endvermögen
Rz. 273
Im Übrigen muss jeder Ehegatte gem. § 1379 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB Auskunft über sein Endvermögen geben, soweit sein Bestand am Ende der Ehe für die Berechnung des Zugewinns wesentlich wird. Voraussetzung ist das Betreiben des Scheidungsverfahrens bzw. des Verfahrens zur vorzeitigen Aufhebung der Zugewinngemeinschaft bei Gericht.
Rz. 274
Es besteht die Pflicht, über das am Stichtag real vorhandene, positive oder negative Endvermögen mit einem alle Aktiva und Passiva geordnet dokumentierenden Bestandsverzeichnis Auskunft zu erteilen. Zu beachten ist, dass auch dann keine Ausnahme von der Pflicht zur vollständigen genauen Zusammenstellung erlaubt ist, wenn die Passiva im Betragswert die Aktiva eindeutig übersteigen. Gem. § 1375 Abs. 1 S. 2 BGB kann ein negatives Endvermögen für die Zugewinnberechnung relevant sein.
c) Auskunft über das Vermögen zum Zeitpunkt der Trennung
Rz. 275
Zum Zeitpunkt der Trennung besteht ebenfalls ein Auskunftsanspruch über das Vermögen. Diesen nicht geltend zu machen bedeutet Haftungsgefahr.
Rz. 276
Voraussetzung für den Anspruch nach § 1379 Abs. 2 BGB ist das Getrenntleben der Ehegatten, vgl. hierzu auch § 1567 BGB. Es ist, um dem Anspruch zu genügen, ein Bestandsver...