Rz. 340

Das anwaltliche Dasein wird durch eine Vielzahl materieller und prozessualer Fristen determiniert. Die Nichtbeachtung solcher Fristen stellt die Hauptursache für Anwaltshaftungsfälle dar und nimmt rund 40 % aller von den Anwälten bei den Berufshaftpflichtversicherern gemeldeten Schadensfälle ein.[283]

 

Rz. 341

Einer der maßgeblichen Gründe dafür dürfte sein, dass es die eine maßgebliche Frist nicht gibt und sich von Verfahrensordnung zu Verfahrensordnung erhebliche Unterschiede ergeben können. Anschaulich zeigt dies die Schuldrechtsreform zum 1.1.2002, die der Gesetzgeber unter anderem mit dem ausdrücklichen Ziel der Vereinheitlichung der Verjährungsvorschriften und der Beseitigung des "fast barock zu nennende[n] Formenreichtum[s]" an unterschiedlichen Fristenregeln, die sowohl den Fachmann als auch den Laien überfordern, angestoßen hatte,[284] ohne dies aber mit letzter Konsequenz umzusetzen.

 

Rz. 342

Die Haftungsfälle sind aufgrund dieser Vielfalt häufig einer schlichten Unkenntnis einschlägiger Fristenbestimmungen und den Vorgaben zu ihrer Einhaltung geschuldet. Daher sollen im Folgenden exemplarisch und keinesfalls mit dem Anspruch auf Vollständigkeit Fristen herausgearbeitet werden, die erheblich von der Regelverjährungsfrist des § 195 BGB abweichen und exotisch anmuten.

 

Rz. 343

Außerdem soll das Augenmerk auf Maßnahmen der Verjährungshemmung gelenkt werden, nachdem der BGH gerade mit mehreren im Jahr 2015 zur Normanwendung des § 204 BGB in Kapitalanlegerfällen ergangenen Entscheidungen die Möglichkeiten zu verjährungshemmenden Maßnahmen in wichtigen Teilbereichen ganz erheblich eingeschränkt hat, was naheliegend in Zukunft auch auf Bereiche außerhalb der Fälle von Kapitalanlegern Auswirkungen haben dürfte.[285]

[283] S. Vollkommer/Greger/Heinemann, § 28 Rn 1 mit Bezug auf Chab, der durch seine jahrzehntelang bei einem der führenden Versicherer gesammelte Erfahrungen als "empirische Richtschnur" zu bezeichnen ist.
[284] BT-Drucks 14/6040, 101; vgl. auch Schmidt-Räntsch, ZJS 2012, 301 ff., mit weiteren Einzelheiten zur Reform des Verjährungsrechts.
[285] So auch Regenfus, NJW 2016, 2977, 2980, wenn dieser a.a.O. anmerkt, dass es "Maßnahmen zur Verjährungshemmung" nicht gäbe, weil sich in § 204 BGB nur die Verjährungshemmung als materielle Nebenfolge bestimmter Prozesshandlungen manifestiere und "kein Selbstzweck" dieser sei, widerstreitet das aber seinem Hinweis a.a.O., 2977 (Fn 5), wonach der BGH es als legitim bezeichnet, eine Rechtsverfolgung allein um der Verjährungshemmung willen zu betreiben.

I. Allgemeines Verjährungsrecht nach den §§ 195 ff. BGB

 

Rz. 344

Im Grunde scheint nach der Schuldrechtsreform alles ganz einfach zu sein. Alle Ansprüche verjähren in drei Jahren, bis auf einige wenige Ausnahmen, die im Gesetz hinreichend kenntlich gemacht sind.

 

Rz. 345

Darauf deutet der – für juristische Verhältnisse ausgesprochen kurze – Regelungssatz "Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre" in § 195 BGB hin. Dieses Grundanliegen der Schuldrechtsreform wird auf dem Gebiet des Verjährungsrechts allerdings nicht erreicht.

 

Rz. 346

Dies liegt zum einen daran, dass der Gesetzgeber unglücklicherweise mit unbestimmten Rechtsbegriffen auf einem Rechtsgebiet operiert, welches gerade Rechtssicherheit zum Ziel hat. Paradebeispiel dazu ist die Statuierung eines regelmäßig kenntnisabhängigen Verjährungsbeginns, dem in § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB die grob fahrlässige Unkenntnis gleichgestellt ist.

 

Rz. 347

Zum anderen haben sich bei den zahlreichen Senaten der Bundesgerichte unterschiedliche Handhabungen des Verjährungsrechts entwickelt, die bisweilen eher den Charakter spezieller Ansichten führender Meinungsfraktionen innerhalb eines bestimmten Senats haben als vom Prinzip der Einheitlichkeit der Rechtsprechung getragen zu sein scheinen.

 

Rz. 348

Bedauerlicherweise wird die Handhabung des Verjährungsrechts daher zunehmend aleatorisch und arbiträr – ein Befund, der der Rechtssicherheit ebenso abträglich wie der Anwaltshaftung förderlich ist.

1. Grundsätzliches zum Verjährungsrecht und zur Anwaltshaftung

 

Rz. 349

Schon im Allgemeinen sah sich der Gesetzgeber gehindert, die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren nach § 195 BGB nichts ausnahmslos für verbindlich zu erklären. So gilt sie in Form einer Rückausnahme etwa auch für titulierte Ansprüche, obwohl diese nach § 197 Abs. 1 BGB einer dreißigjährigen Verjährungsfrist unterliegen.

 

Rz. 350

§ 197 Abs. 2 BGB ordnet eine dreijährige Verjährungsfrist an, falls die Ansprüche nach § 197 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 BGB künftig fällig werdende regelmäßig wiederkehrende Leistungen zum Inhalt haben. Die Verjährung beginnt bei Ansprüchen nach § 197 Abs. 1 Nr. 3 bis 6 BGB mit Rechtskraft der Entscheidung, Errichtung des vollstreckbaren Titels oder Feststellung im Insolvenzverfahren, nicht jedoch vor der Entstehung des Anspruchs (§ 201 BGB).

 

Rz. 351

 

Beispiel

Ansprüche auf Rentenzahlungen oder Zinsen, um nur zwei praxisrelevante Beispiele zu nennen, verjähren dementsprechend nach drei Jahren, auch wenn sie durch ein gerichtliches Urteil zuerkannt sind, und zwar taggenau mit der Rechtskraft des Urteils und nic...

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