Dr. iur. Alexander Weinbeer
Rz. 340
Das anwaltliche Dasein wird durch eine Vielzahl materieller und prozessualer Fristen determiniert. Die Nichtbeachtung solcher Fristen stellt die Hauptursache für Anwaltshaftungsfälle dar und nimmt rund 40 % aller von den Anwälten bei den Berufshaftpflichtversicherern gemeldeten Schadensfälle ein.
Rz. 341
Einer der maßgeblichen Gründe dafür dürfte sein, dass es die eine maßgebliche Frist nicht gibt und sich von Verfahrensordnung zu Verfahrensordnung erhebliche Unterschiede ergeben können. Anschaulich zeigt dies die Schuldrechtsreform zum 1.1.2002, die der Gesetzgeber unter anderem mit dem ausdrücklichen Ziel der Vereinheitlichung der Verjährungsvorschriften und der Beseitigung des "fast barock zu nennende[n] Formenreichtum[s]" an unterschiedlichen Fristenregeln, die sowohl den Fachmann als auch den Laien überfordern, angestoßen hatte, ohne dies aber mit letzter Konsequenz umzusetzen.
Rz. 342
Die Haftungsfälle sind aufgrund dieser Vielfalt häufig einer schlichten Unkenntnis einschlägiger Fristenbestimmungen und den Vorgaben zu ihrer Einhaltung geschuldet. Daher sollen im Folgenden exemplarisch und keinesfalls mit dem Anspruch auf Vollständigkeit Fristen herausgearbeitet werden, die erheblich von der Regelverjährungsfrist des § 195 BGB abweichen und exotisch anmuten.
Rz. 343
Außerdem soll das Augenmerk auf Maßnahmen der Verjährungshemmung gelenkt werden, nachdem der BGH gerade mit mehreren im Jahr 2015 zur Normanwendung des § 204 BGB in Kapitalanlegerfällen ergangenen Entscheidungen die Möglichkeiten zu verjährungshemmenden Maßnahmen in wichtigen Teilbereichen ganz erheblich eingeschränkt hat, was naheliegend in Zukunft auch auf Bereiche außerhalb der Fälle von Kapitalanlegern Auswirkungen haben dürfte.
I. Allgemeines Verjährungsrecht nach den §§ 195 ff. BGB
Rz. 344
Im Grunde scheint nach der Schuldrechtsreform alles ganz einfach zu sein. Alle Ansprüche verjähren in drei Jahren, bis auf einige wenige Ausnahmen, die im Gesetz hinreichend kenntlich gemacht sind.
Rz. 345
Darauf deutet der – für juristische Verhältnisse ausgesprochen kurze – Regelungssatz "Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre" in § 195 BGB hin. Dieses Grundanliegen der Schuldrechtsreform wird auf dem Gebiet des Verjährungsrechts allerdings nicht erreicht.
Rz. 346
Dies liegt zum einen daran, dass der Gesetzgeber unglücklicherweise mit unbestimmten Rechtsbegriffen auf einem Rechtsgebiet operiert, welches gerade Rechtssicherheit zum Ziel hat. Paradebeispiel dazu ist die Statuierung eines regelmäßig kenntnisabhängigen Verjährungsbeginns, dem in § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB die grob fahrlässige Unkenntnis gleichgestellt ist.
Rz. 347
Zum anderen haben sich bei den zahlreichen Senaten der Bundesgerichte unterschiedliche Handhabungen des Verjährungsrechts entwickelt, die bisweilen eher den Charakter spezieller Ansichten führender Meinungsfraktionen innerhalb eines bestimmten Senats haben als vom Prinzip der Einheitlichkeit der Rechtsprechung getragen zu sein scheinen.
Rz. 348
Bedauerlicherweise wird die Handhabung des Verjährungsrechts daher zunehmend aleatorisch und arbiträr – ein Befund, der der Rechtssicherheit ebenso abträglich wie der Anwaltshaftung förderlich ist.
1. Grundsätzliches zum Verjährungsrecht und zur Anwaltshaftung
Rz. 349
Schon im Allgemeinen sah sich der Gesetzgeber gehindert, die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren nach § 195 BGB nichts ausnahmslos für verbindlich zu erklären. So gilt sie in Form einer Rückausnahme etwa auch für titulierte Ansprüche, obwohl diese nach § 197 Abs. 1 BGB einer dreißigjährigen Verjährungsfrist unterliegen.
Rz. 350
§ 197 Abs. 2 BGB ordnet eine dreijährige Verjährungsfrist an, falls die Ansprüche nach § 197 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 BGB künftig fällig werdende regelmäßig wiederkehrende Leistungen zum Inhalt haben. Die Verjährung beginnt bei Ansprüchen nach § 197 Abs. 1 Nr. 3 bis 6 BGB mit Rechtskraft der Entscheidung, Errichtung des vollstreckbaren Titels oder Feststellung im Insolvenzverfahren, nicht jedoch vor der Entstehung des Anspruchs (§ 201 BGB).
Rz. 351
Beispiel
Ansprüche auf Rentenzahlungen oder Zinsen, um nur zwei praxisrelevante Beispiele zu nennen, verjähren dementsprechend nach drei Jahren, auch wenn sie durch ein gerichtliches Urteil zuerkannt sind, und zwar taggenau mit der Rechtskraft des Urteils und nic...