Dr. iur. Alexander Weinbeer
Rz. 801
Der Rechtsanwalt, der selbst oder über einen Dritten für seinen in Untersuchungshaft sitzenden Mandaten Gelder einwirbt, um eine Kaution stellen zu können, darf die ihm zu diesem Zweck zur Verfügung gestellten Mittel nicht anderweitig verwenden. Weitergehende Pflichten, etwa zur Sicherung der Rückführung dieser Mittel nach bestimmungsgemäßer Verwendung oder zur längerfristigen Verwaltung, treffen den Rechtsanwalt in der Regel nicht.
Rz. 802
Indes bejaht der BGH die Pflicht von Strafverteidigern, Mandanten im Kontext mit der Gestellung von Kaution über das Risiko des Pfändungszugriffs und über die Möglichkeiten von Sicherungsmaßnahmen zu beraten und zu belehren. Dabei besteht diese Pflicht aber nicht gegenüber Dritten, die die Kautionssumme darlehens- oder schenkungsweise zur Verfügung stellen; insbesondere kommt es nicht zu einem (konkludenten) Mandatsverhältnis mit dem Finanzier und auch ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter liegt in diesen Konstellationen nicht vor.
Rz. 803
Es ist anerkannt, dass den Rechtsanwalt eine persönlich wahrzunehmende Aufklärungspflicht trifft, d.h. er hat sich (primär) durch Nachfragen beim Mandanten die verfahrensrelevanten Tatsachen zu erschließen. Seiner Pflicht zur vollständigen Beratung des Mandanten kann der Verteidiger nur nachkommen, wenn er zunächst durch Befragung seines Auftraggebers die Punkte klärt, auf die es für die rechtliche Beurteilung ankommen kann. Dazu gehört es auch, tatsächliche Zweifel, die sich aus den Angaben des Mandanten ergeben, zu erörtern und aufzuklären. Die Aufklärung der verfahrensrelevanten Tatsachen setzt zunächst eine eingehende Information des Mandanten über den gegen ihn erhobenen Vorwurf voraus. Bei einem bestreitenden Mandanten erstreckt sich die Aufklärungspflicht insbesondere auch auf die erschöpfende Sammlung der gegen seine Beteiligung sprechenden Umstände und der hierfür zur Verfügung stehenden Beweismittel. Beim geständigen Mandanten kommen neben strafzumessungsrelevanten Umständen insbesondere solche in Betracht, die zu einer Herabstufung des Vorwurfs führen können.
Rz. 804
Beispiel
Wird ein Anwalt mit der Prüfung der Frage beauftragt, die Erfolgsaussichten eines gegen einen Strafbefehl eingelegten Einspruchs zu prüfen, und ist nach Lage der Dinge nicht zu erwarten, dass eine Hauptverhandlung zum Freispruch oder zu einer Herabsetzung der durch Strafbefehl festgesetzten Strafe führen wird, so muss der Anwalt seinem Auftraggeber schon aus Kostengründen zur Rücknahme des Einspruchs raten. Erst recht besteht eine derartige Verpflichtung, wenn die ernsthafte Gefahr besteht, dass das Gericht nach Durchführung der Hauptverhandlung die Strafe erhöhen wird, der Anwalt hat seinen Mandanten auf die Gefahr der Verböserung hinzuweisen.
Rz. 805
Auf Seiten des Mandanten korrespondiert zu der Aufklärungspflicht des Verteidigers eine Informationspflicht. Nach Aufklärung des Sachverhalts und Prüfung der Rechtslage hat der Verteidiger auf der Grundlage des Ergebnisses seiner Prüfung den Mandanten bspw. in Bezug auf die Ziele der Verteidigung zu beraten und ihn hinsichtlich der zur Erreichung dieser Ziele ergreifbaren Maßnahmen zu belehren.
Rz. 806
Auch hat der Rechtsanwalt seinen Mandanten darauf hinzuweisen, dass bei einer Verurteilung wegen einer Trunkenheitsfahrt, der 1,6 ‰ oder mehr BAK zugrunde liegen, zwingend für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis eine Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) angeordnet wird.
Rz. 807
Der Rechtsanwalt hat seinen Mandanten darauf hinzuweisen, dass dieser auf die Frage nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen nur antworten braucht, dass diese geordnet seien.
Rz. 808
Allein der Verteidiger des Beschuldigten besitzt gem. § 147 StPO das Recht, für Verteidigungszwecke die Akten einzusehen. Im Rahmen seiner Aufklärungspflicht trifft den Verteidiger daher auch die Pflicht zur Akteneinsicht. Nur durch die Akteneinsicht wird es ihm möglich, den gesamten verfahrensrelevanten Stoff zur Kenntnis zu nehmen. Deshalb begründet es grds. einen gravierenden Pflichtverstoß, wenn eine Verteidigung ohne Akteneinsicht geführt wird, soweit diese nach § 147 Abs. 2 StPO genommen werden könnte.
Rz. 809
Im Strafverfahren hat der Verteidiger die Stellung eines selbstständigen Beistandes des Beschuldigten und eines unabhängigen Organs der Rechtspflege. In dieser Stellung besteht seine Aufgabe darin, dem Schutz des Beschuldigten zu dienen und in dem Strafverfahren alles geltend zu machen, was dem Beschuldigten nach sachlichem oder Verfahrensrecht günstig ist. Er hat deshalb auch gegenüber dem Beschuldigten die Pflicht, die Strafverfolgungsbehörden oder das Gericht auf eine etwa eingetretene und für ihn bei sachgerechter Unterrichtung über den Sachverhalt und den Verfahrensgang erkennbare Verjährung der Strafverfolgung hinzuweisen. Von dieser Verpflichtung ist er keineswegs deswegen befreit, weil das Strafgericht ohnehin von Amts wegen den Streitstoff nach allen Richtungen hin zu untersuchen hat.