Dr. iur. Alexander Weinbeer
Rz. 580
Die Fragen zum gewerblichen Rechtsschutz gehören einer Materie an, zu der sich vollkommen zu Recht ein Kreis hochspezialisierter Fachleute gebildet hat. Allein schon das Hantieren mit Eilrechtsbehelfen und Vollzugsfristen sowie Spezialzuständigkeiten von Gerichten geht über den Katalog üblicher Anwaltsarbeiten hinaus. Daher empfiehlt es sich nicht, ohne spezielles Know-how und Erfahrung auf diesem Gebiet tätig zu werden.
Rz. 581
Welche besondere Kultur der Materie innewohnt, zeigt vielleicht eine Entscheidung des für Patentsachen zuständigen X. Zivilsenats des BGH vom 1.12.2015, in der er sich mit der Frage befasste, ob Anwälte nach § 823 Abs. 1 BGB für einen rechtswidrigen und schuldhaften Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eines Dritten, also nicht des Mandanten, haften, wenn dieser Eingriff "auf einer die Rechtslage fahrlässig falsch einschätzenden Beratung" des Mandanten durch den Anwalt beruhe.
Rz. 582
In der Entscheidung ging es um Ansprüche aus einem 1994 beantragten und 1999 erteilten Patent im Bereich der Satellitenempfangstechnik, das der BGH Ende 2011 – und damit fast fünf Jahre nach den streitgegenständlichen Verwarnungen – für nichtig erklärt hatte. Die gemeinsam mit der Patentinhaberin in Anspruch genommene Anwaltskanzlei hatte schon im März und Juni 2007 in deren Namen mehrere hundert Geschäftspartner der späteren Klägerin wegen Schutzrechtsverstößen abgemahnt.
Rz. 583
Die Klägerin wies die Abmahnungen zurück, das Landgericht und das Oberlandesgericht Düsseldorf untersagten diese im weiteren Verlauf. Bei der ersten Abmahnung stützten die Gerichte sich darauf, dass die Abnehmer wegen unmittelbarer Patentverletzung verwarnt wurden, obwohl nur eine mittelbare Patentverletzung in Betracht kam. Bei der zweiten Abmahnung hatte der Anwalt die Abnehmer nicht auf eine – später vom OLG Karlsruhe revidierte – Entscheidung des LG Mannheim hingewiesen.
Rz. 584
Die abgemahnte Klägerin nahm in der Folge die Patentinhaberin, die Ende 2011 in Insolvenz geriet, und deren Anwälte auf Ersatz der durch die unberechtigten Verwarnungen entstandenen Kosten von 1,5 Mio. EUR in Anspruch. LG und OLG Frankfurt am Main wiesen die gegen die Anwälte gerichtete Schadensersatzklage ab, weil Anwälte – abgesehen von vorsätzlichem Fehlverhalten – grds. nicht gegenüber dem abgemahnten Gegner hafteten.
Rz. 585
Das sah der BGH allerdings anders. Ein Mandat müsse, so der X. Zivilsenats des BGH weiter, so ausgeübt werden, dass der Mandant nicht irrtümlich eine Abmahnung anordnet, die in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Gegners eingreife. Der Senat zieht auf dem Weg zu diesem Ergebnis Parallelen zur Stellung von Geschäftsführern und schreibt dem Anwalt
Zitat
"aufgrund seines Mandats gleichfalls erhebliche Möglichkeiten der Abwehr und Steuerung im Hinblick auf die Vermeidung eines Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eines Dritten"
zu.
Rz. 586
Diese Schlussfolgerung begründete der BGH mit den Grundsätzen zur deliktsrechtlichen Haftung als Täter oder Teilnehmer für ein Unterlassen, wenn der Täter aufgrund einer Garantenstellung verpflichtet ist, eine Gefährdung oder Verletzung der durch § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechte von Außenstehenden abzuwenden.
Rz. 587
Er schließt daraus, dass den im Hinblick auf eine Schutzrechtsverletzung eingeschalteten Rechtsanwalt gegenüber dem später Verwarnten eine solche Garantenstellung treffe. Für schutzwürdig hält der Senat den von einer Abmahnung betroffenen Dritten, weil er typischerweise nicht rechtlich geschult sei und daher eine nicht völlig eindeutig formulierte Unterlassungserklärung falsch verstehen könne.
Rz. 588
Die Entscheidung eröffnet eine neue Dimension von Haftungsrisiken für Anwälte. Sie sollen danach eine Garantenstellung im Verhältnis zu den Gegnern ihrer Mandanten innehaben.
Rz. 589
Mit der Annahme, dass Anwälte verpflichtet seien, Gefahren für Rechte der Gegenpartei ihrer Mandanten abzuwenden, setzt der BGH diese zwangsläufig der Gefahr der Strafverfolgung und berufsrechtlicher Sanktionen wegen Geheimnis- und Parteiverrats aus. Bei Rücksichtnahme auf die gegnerischen Belange würden Anwälte permanent gegen das Verbot verstoßen, widerstreitende Interessen zu vertreten.
Rz. 590
Das Verbot der Interessenkollision (§ 43a Abs. 3 BRAO) gehört zu den Grundpflichten der Rechtsanwälte. Gerade der Parteiverrat kann zum Ausschluss aus der Anwaltschaft nach § 114 BRAO führen. Selbst ein Einverständnis des Mandanten ließe die Strafbarkeit wegen eines Parteiverrats gem. § 356 StGB nicht entfallen. Dieses Damoklesschwert schwebt über den Anwälten aus dem Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes, wenn die Rechtsprechung des X. Zivilsenats des BGH Schule machen sollte.
Rz. 591
Will der Anwalt sich des gegnerischen Vorwurfs der fahrlässigen Falschberatung erwehren, müsste er Interna aus dem Beratungsverhältnis mit seinem Mandanten offenbaren. Tut der Anwalt dies nicht, haftet er dem Gegner wegen behaupteter Falschberatung. Tut...