Dr. iur. Alexander Weinbeer
I. Allgemein
Rz. 680
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Rechtsanwalt kraft des Anwaltsvertrages verpflichtet, innerhalb der Grenzen des Mandats die Interessen seines Auftraggebers nach jeder Richtung und umfassend wahrzunehmen. Soweit der Mandant nicht eindeutig zu erkennen gibt, dass er des Rates nur in einer bestimmten Richtung bedarf, ist der Rechtsanwalt grds. zur allgemeinen, umfassenden und möglichst erschöpfenden Belehrung des Auftraggebers verpflichtet. Unkundige muss er über die Folgen ihrer Erklärungen belehren und vor Irrtümern bewahren. Er hat die Aufgabe, sich die für das Prozessziel notwendige Information vom Auftraggeber zu beschaffen. Ohne Kenntnis und Klärung des Sachverhalts sowie der damit zusammenhängenden tatsächlichen Einzelheiten ist eine den Anforderungen der Verfahrensvorschriften genügende Prozessführung und damit auch eine gewissenhafte Wahrnehmung der Interessen des Auftraggebers nicht möglich. Bei lückenhaften oder oberflächlichen Informationen muss der Rechtsanwalt daher auf ihre Vervollständigung dringen.
Rz. 681
In den Grenzen des Mandats hat der Rechtsanwalt dem Mandanten diejenigen Schritte anzuraten, die geeignet sind zu dem erstrebten Ziel zu führen und Nachteile für den Auftraggeber zu verhindern, soweit solche voraussehbar und vermeidbar sind. Dazu hat er dem Auftraggeber den sichersten und gefahrlosesten Weg vorzuschlagen und ihn über mögliche Risiken aufzuklären, damit der Mandant zu einer sachgerechten Entscheidung in der Lage ist.
Rz. 682
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verdichten sich die genannten Pflichten des Rechtsanwalts, wenn Ansprüche zu verjähren drohen. In solch einer Situation muss der Anwalt den Mandanten vor Gefahren warnen, die sich bei ordnungsgemäßer Bearbeitung aufdrängen, wenn er Grund zu der Annahme hat, dass sein Auftraggeber sich dieser Gefahr nicht bewusst ist. Gerade in Zusammenhang mit Verjährungsfragen muss der Anwalt das Gebot des sichersten Weges befolgen.
Rz. 683
Beispiel
Stehen aus dem Katalog des § 204 BGB verschiedene Maßnahmen zur Verjährungshemmung zur Verfügung, die gleichwertig sind und dasselbe kosten, ist diejenige Maßnahme zu ergreifen, die am sichersten ist. In den letzten Jahren war zu beobachten, dass die Gerichte Mahnbescheiden, Streitverkündungen oder Güteverfahren vielfach aus formalen Gründen die Wirkung zur Verjährungshemmung abgesprochen haben, während – die nicht seltenen – Zulässigkeitsmängel von Klagen zumindest bisher unsanktioniert blieben. Daher ist zur Sicherstellung der Verjährungshemmung am besten eine Klage zu erheben.
Auch der Wahl der zweckmäßigsten Verfahrensart muss der Rechtsanwalt seine Aufmerksamkeit widmen.
Rz. 684
Der Rechtsanwalt hat seinen unterlegenen Mandanten über Rechtsmittel und deren Erfolgsaussichten zu informieren und zu beraten. Bei der Beauftragung zur Einlegung eines Rechtsmittels hat der Rechtsanwalt dafür zu sorgen, dass es form- und fristgerecht eingereicht wird.
Rz. 685
Er hat die Pflicht, für seinen Mandanten den richtigen Beklagten zu verklagen, daneben muss auch auf eine richtige Parteibezeichnung in der Klageschrift oder dem Antrag auf Erlass eines Mahnbescheides geachtet werden.
II. Außergerichtliche Konfliktbeilegung/Güterichterverfahren
Rz. 686
Gem. § 253 Abs. 3 Nr. 1 ZPO soll in der Klageschrift unter anderem angegeben werden, ob vor der Klageerhebung eine Mediation versucht wurde oder ob ein anderes Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung vorausgegangen ist. Außerdem soll erklärt werden, ob einem solchen Verfahren Gründe entgegenstehen. Über den Einfluss auf die gerichtliche Ermessensausübung hinaus entfaltet die Vorschrift eine verbindliche Wirkung im vorgerichtlichen Raum. Der Rechtsanwalt hat nicht nur über die Möglichkeit einer außergerichtlichen Konfliktbeilegung zu beraten, sondern auch über die im konkreten Fall in Betracht kommenden Formen sowie deren Modalitäten. Verletzt der Anwalt diese Pflicht, muss er ggf. haften.
Rz. 687
Das Güterichterverfahren ist Bestandteil des Prozesses und löst daher keine zusätzliche Gerichtsgebühr aus. Der Rechtsanwalt hat daher darauf hinzuwirken, denn die gerichtliche Entscheidung ist nicht bei jedem Rechtsstreit für die Parteien die beste Lösung. Ein durch mehrere Instanzen geführter Rechtsstreit kostet Zeit und Geld. Der Ausgang eines Rechtsstreits lässt sich außerdem nicht in allen Fällen zuverlässig abschätzen. Eine einvernehmliche Beilegung des Rechtsstreits bringt deshalb häufig das beste Ergebnis für die Beteiligten (vgl. Rdn 382 ff.).
Rz. 688
Durch die Verweisung an den Güterichter wird nur ein bestimmter Verfahrensabschnitt einem anderen Richter übertragen, kraft unmittelbarer oder jedenfalls entsprechender Anwendung von § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 RVG ist daher das Verfahren vor dem Güterichter keine eigene Angelegenheit. Dem...