Rz. 87
Die Haftung kann in verschiedener Weise begrenzt und eingeschränkt sein.
a) Grundsatz
Rz. 88
Das BGB sieht eine Haftungsbegrenzung auf die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten lediglich in fünf Fällen vor. Hierzu kann man sich folgenden Repetitoren-Merksatz einprägen: "Der Vater begattet die Gesellschafterin, die den Vorerben unentgeltlich verwahrt." In diesem Merksatz sind alle Fälle enthalten, in denen das Gesetz eine Haftungsbegrenzung vorsieht:
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"Der Vater" = § 1664 BGB Eltern gegenüber Kindern |
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"begattet" = § 1359 BGB Ehegatten untereinander |
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"die Gesellschafterin" = § 708 BGB Gesellschafter untereinander |
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"den Vorerben" = § 2131 BGB Haftung des Vorerben gegenüber dem Nacherben |
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"unentgeltlicher Verwahrer" = § 690 BGB Haftung des unentgeltlichen Verwahrers. |
Rz. 89
Die Haftungsbegrenzung nach § 277 BGB (Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten) findet im Straßenverkehr grundsätzlich keine Anwendung (vgl. BGHZ 46, 313; 53, 352; 63, 750). Das BGB unterscheidet grundsätzlich drei Stufen der Fahrlässigkeit:
Die erste Stufe ist die einfache Fahrlässigkeit, die in § 276 BGB geregelt ist und die bei Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt vorliegt (vgl. § 276 Abs. 1 S. 2 BGB). Diese ist gegeben, wenn der rechtswidrige Erfolg voraussehbar und vermeidbar war (Palandt-Grüneberg, § 276 BGB Rn 20 f.).
Rz. 90
Die zweite Stufe ist die Verletzung der Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten (diligentia quam in suis). In den besonders durch das Gesetz geregelten Fällen sowie bei individueller Parteivereinbarung wird nur für die Verletzung der Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten und grobe Fahrlässigkeit gehaftet.
Die Verletzung der Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten soll für den Schädiger grundsätzlich eine Haftungsmilderung bewirken. Durch § 277 BGB wird die Haftungsbeurteilung subjektiviert.
Der Schädiger selbst muss also darlegen und beweisen, dass er in eigenen Angelegenheiten nicht sorgfältiger verfährt als im konkreten Fall, auch wenn er von dem objektiven Sorgfaltsmaßstab des § 276 BGB abweicht (OLG Karlsruhe NJW 1994, 1966). Selbst wenn ihm das gelingt, haftet er auf jeden Fall für grobe Fahrlässigkeit (Palandt-Grüneberg, § 277 BGB Rn 4).
Rz. 91
Die dritte Stufe ist die grobe Fahrlässigkeit. Sie liegt vor, wenn die verkehrserforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt wurde. Das ist der Fall, wenn schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt wurden und der Handelnde bereits das nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste (BGH NJW 1992, 3236). Voraussetzung einer Haftung wegen grober Fahrlässigkeit ist daher, dass den Handelnden auch in subjektiver Hinsicht ein schweres Verschulden trifft (BGH NJW 1988, 1265). In Einzelfällen ist von der Rechtsprechung grobe Fahrlässigkeit beispielsweise dann angenommen worden, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr als 100 % überschritten oder Rotlichtverstöße begangen wurden (im Einzelnen siehe § 13 Rdn 115 ff.).
b) Ausnahmen
Rz. 92
Zu dem Grundsatz, wonach § 277 BGB im Straßenverkehr keine Anwendung findet, gibt es aber zahlreiche Ausnahmen, die man sich merken sollte.
aa) Allgemeines
Rz. 93
Auch im Straßenverkehrsrecht gilt, dass zumindest in Einzelfällen sich die Haftung eines Unfallverursachers bei der Bewertung seines Verschuldens nicht nach § 276 BGB (einfache Fahrlässigkeit), sondern nach § 277 BGB (eigenübliche Sorgfalt) richten kann.
bb) Beispiele
Rz. 94
Zu den einzelnen Haftungsfällen sollen die in der Praxis wichtigsten Fallgruppen dargestellt werden.
(1) Gefälligkeitsfahrt
Rz. 95
Im Rahmen einer Gefälligkeitsfahrt kann es unter Umständen interessengerecht sein, von einer stillschweigenden Erklärung des Mitfahrers auszugehen, wonach der Fahrer für die Folgen eines von ihm durch einfache Fahrlässigkeit verursachten Unfallschadens nur im Rahmen seines Versicherungsschutzes in Anspruch genommen werden soll (OLG Frankfurt VersR 1987, 912). Das macht zugleich deutlich, dass dann, wenn – wie im Bereich der Kraftfahrthaftpflichtversicherung regelmäßig – ein eintrittspflichtiger Haftpflichtversicherer hinter dem Schädiger steht, regelmäßig nicht von einem konkludenten Haftungsverzicht ausgegangen werden kann (BGH VersR 2016, 1264).
Rz. 96
Das Vorliegen einer Gefälligkeitsfahrt oder das Fehlen ausreichenden Versicherungsschutzes rechtfertigen es allein noch nicht, im Wege ergänzender Vertragsauslegung einen Haftungsverzicht anzunehmen. Hierzu müssten noch weitere Umstände hinzutreten, nämlich a) das besondere Interesse des Fahrzeugeigentümers an der Gefälligkeitsfahrt, b) die Abnahme des Fahrrisikos durch den "Gefälligen" gegenüber dem Fahrzeugeigentümer, c) die Kenntnis des Fahrzeugeigentümers darüber, dass der "Gefällige" nur geringe Fahrpraxis hat und mit dem Fahrzeug nicht vertraut ist (OLG München DAR 1998, 17).
(2) Geschäftsführer ohne Auftrag
Rz. 97
Auch in den Fällen, in denen der Fahrer als Geschäftsführer ohne Auftrag (§ 680 BGB) den Mitfahrer in dessen Interesse befördert, um eine dringende ihm drohende Gefahr abzuwenden, kann eine Haftungsbegrenzung des Fahrers auf Fälle der groben Fahrlässigkeit vorli...