Rz. 94
Zu den einzelnen Haftungsfällen sollen die in der Praxis wichtigsten Fallgruppen dargestellt werden.
(1) Gefälligkeitsfahrt
Rz. 95
Im Rahmen einer Gefälligkeitsfahrt kann es unter Umständen interessengerecht sein, von einer stillschweigenden Erklärung des Mitfahrers auszugehen, wonach der Fahrer für die Folgen eines von ihm durch einfache Fahrlässigkeit verursachten Unfallschadens nur im Rahmen seines Versicherungsschutzes in Anspruch genommen werden soll (OLG Frankfurt VersR 1987, 912). Das macht zugleich deutlich, dass dann, wenn – wie im Bereich der Kraftfahrthaftpflichtversicherung regelmäßig – ein eintrittspflichtiger Haftpflichtversicherer hinter dem Schädiger steht, regelmäßig nicht von einem konkludenten Haftungsverzicht ausgegangen werden kann (BGH VersR 2016, 1264).
Rz. 96
Das Vorliegen einer Gefälligkeitsfahrt oder das Fehlen ausreichenden Versicherungsschutzes rechtfertigen es allein noch nicht, im Wege ergänzender Vertragsauslegung einen Haftungsverzicht anzunehmen. Hierzu müssten noch weitere Umstände hinzutreten, nämlich a) das besondere Interesse des Fahrzeugeigentümers an der Gefälligkeitsfahrt, b) die Abnahme des Fahrrisikos durch den "Gefälligen" gegenüber dem Fahrzeugeigentümer, c) die Kenntnis des Fahrzeugeigentümers darüber, dass der "Gefällige" nur geringe Fahrpraxis hat und mit dem Fahrzeug nicht vertraut ist (OLG München DAR 1998, 17).
(2) Geschäftsführer ohne Auftrag
Rz. 97
Auch in den Fällen, in denen der Fahrer als Geschäftsführer ohne Auftrag (§ 680 BGB) den Mitfahrer in dessen Interesse befördert, um eine dringende ihm drohende Gefahr abzuwenden, kann eine Haftungsbegrenzung des Fahrers auf Fälle der groben Fahrlässigkeit vorliegen (BGH VersR 1972, 277).
Rz. 98
Der zuvor zitierten Entscheidung des BGH lag der Fall zugrunde, dass zwei Arbeitskollegen anlässlich einer Feier übermäßig Alkohol genossen hatten. Als sich am Ende der Feier einer der Kollegen mit einem BAK-Wert von 2,24 ‰ ans Steuer seines Wagens setzen wollte, entschloss sich der andere Kollege, der einen BAK-Wert von 1,5 ‰ hatte, ihn an der Autofahrt zu hindern und fuhr selbst.
Rz. 99
Auf dieser Fahrt verschuldete er fahrlässig einen Unfall, bei dem sein Arbeitskollege verstarb. Der BGH wies die Klage unter Hinweis auf § 680 BGB (Haftung nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit) ab.
(3) Ehegatten
Rz. 100
Auch unter Ehegatten kann im Straßenverkehr ausnahmsweise eine Haftungsbegrenzung auf grobe Fahrlässigkeit vorliegen.
Rz. 101
Beschädigt die Ehefrau beispielsweise leicht fahrlässig das Kfz ihres Ehemanns, kann dieser wegen §§ 1359, 1353 Abs. 2 S. 2 BGB den Fahrzeugschaden von seiner Ehefrau nicht ersetzt verlangen, wenn sich die ansonsten haftende Ehefrau im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Möglichkeit in einer der ehelichen Gemeinschaft angepassten Weise um einen anderweitigen Ausgleich des Schadens bemüht (BGH VersR 1970, 672; 1973, 941; 1974, 1117; 1979, 1009; 1983, 134).
Rz. 102
In seiner Entscheidung VersR 1973, 941 hat der BGH jedoch betont, dass der mildere Haftungsmaßstab des § 1359 BGB nicht bei Körperverletzungen zwischen Ehegatten infolge ihrer gemeinsamen Teilnahme am Straßenverkehr eingreift (s. hierzu auch BGH VersR 1974, 1117 – trotz bestehender Haftpflichtversicherung).
(4) Probefahrt
Rz. 103
Bei einer Probefahrt anlässlich von Kaufvertragsverhandlungen kann die Haftung des kaufinteressierten Fahrers auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit für den Fahrzeugschaden des von ihm selbst gelenkten Fahrzeugs beschränkt sein, da er in der Regeln annehmen kann, dass eine Vollkaskoversicherung besteht (BGH VersR 1979, 352; 1980, 426; zfs 1986, 196; a.A. OLG Saarbrücken zfs 1991, 42).
Rz. 104
Dies gilt gleichermaßen auch für den Mieter eines Kraftfahrzeugs (OLG Köln VersR 1990, 390). Überlässt ein Kfz-Händler dem Käufer ein Fahrzeug mit einem roten Nummernschild, muss er den nach einer Kaskoversicherung fragenden Käufer ausdrücklich darauf hinweisen, dass der Kaskoschutz nur für die Überführungsfahrten, nicht aber für andere Fahrten mit dem Fahrzeug besteht (OLG Frankfurt zfs 1996, 57).
Rz. 105
Im vorbezeichneten Fall hatte der BGH die Haftung des Beklagten für einfache Fahrlässigkeit verneint, da es bei einer Probefahrt mit einem Vorführwagen ebenso wie bei einer Probefahrt mit einem Gebrauchtwagen gerechtfertigt ist, eine stillschweigend vereinbarte Haftungsbeschränkung auf vorsätzlich oder grob fahrlässige Haftungsverursachung anzunehmen.
Rz. 106
Automobilhändler könnten nämlich durch den Abschluss einer Fahrzeugvollversicherung das Risiko einer Beschädigung des Vorführwagens/Gebrauchtwagens begrenzen. Der Kunde dürfe daher darauf vertrauen, für leicht fahrlässiges Verhalten nicht zu haften, es sei denn, der Kraftfahrzeughändler habe ihn vor Antritt der Probefahrt darauf aufmerksam gemacht, dass für das Fahrzeug keine Vollkaskoversicherung besteht (BGH NJW 1972, 1363).
(5) Anmietung eines Kfz im Ausland
Rz. 107
Bei der Anmietung eines Kfz im Ausland durch mehrere Personen gemeinsam wird bei vereinbarter Kostenbeteiligung für die Fahrzeugmiete und unzureichender Haftpflichtversicherung ein stillschweigend vereinbarter Haftungsausschluss der...