Rz. 122
Nach § 831 BGB haftet derjenige, der einen anderen zu einer Verrichtung bestellt, für den Schaden, den der andere in Ausführung der Verrichtung einem Dritten widerrechtlich zufügt.
Rz. 123
Im Straßenverkehrsrecht begründet diese Vorschrift typischerweise eine Haftung des Halters als Geschäftsherrn für das Verhalten des Fahrers, sofern eine objektiv widerrechtliche Handlung des Fahrers als Verrichtungsgehilfen vorliegt.
1. Voraussetzungen
Rz. 124
An die Geschäftsherrenhaftung knüpft das Gesetz drei Voraussetzungen: Der eine muss Geschäftsherr, der andere Verrichtungsgehilfe sein und die Schädigung muss in Ausführung der Verrichtung erfolgen.
a) Geschäftsherr
Rz. 125
Geschäftsherr ist der Halter eines Fahrzeugs dann, wenn er ein gewisses Weisungsrecht hat, er also die Tätigkeit des Fahrers jederzeit beschränken, untersagen oder nach Zeit und Umfang bestimmen kann. Er haftet nach § 831 BGB im Falle der übrigen Voraussetzungen für vermutetes Verschulden bei der Auswahl, Leitung oder Überwachung des Verrichtungsgehilfen.
b) Verrichtungsgehilfe
Rz. 126
Verrichtungsgehilfe ist derjenige, dem von einem anderen, in dessen Einflussbereich er allgemein oder im konkreten Fall tätig ist und zu dem er in einer gewissen Abhängigkeit steht, eine Tätigkeit übertragen worden ist (BGH VersR 1960, 354).
Rz. 127
Beispiel
Der angestellte Fahrer ist Verrichtungsgehilfe seines Arbeitgebers, wenn er mit einem Firmenfahrzeug in dessen Auftrag eine Fahrt ausführt.
c) Schädigung in Ausführung der Verrichtung
Rz. 128
Weitere Voraussetzung einer Haftung des Geschäftsherrn nach § 831 BGB ist, dass die Schädigung in Ausführung der Verrichtung geschieht. Es muss also ein unmittelbarer innerer Zusammenhang zwischen der dem Verrichtungsgehilfen aufgetragenen Verrichtung nach ihrer Art und ihrem Zweck und der schädigenden Handlung bestehen (BGH NJW 1971, 31; NZV 1989, 266).
Rz. 129
Beispiel
Eine Schädigung in Ausführung der Verrichtung liegt z.B. auch dann noch vor, wenn der beauftragte Fahrer verbotswidrig mit einem angekoppelten Anhänger gefahren war, der ins Schleudern geriet und einen Dritten verletzte. Auch die Fahrt mit dem Anhänger war noch vom Auftrag des Geschäftsherrn trotz dessen Verbots erfasst (BGH NJW 1971, 31).
Rz. 130
Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn der Schaden nur gelegentlich der Verrichtung eintritt. Das hat der BGH in einem Fall entschieden, in dem der Fahrer als Verrichtungsgehilfe verbotswidrig bei der Ausführung der Verrichtung einen Dritten mitnahm und diesen auf der Fahrt verletzte (BGH NJW 1965, 391).
2. Beweislast
Rz. 131
Der Verletzte hat zu beweisen, dass der Schaden durch eine zu der Verrichtung bestellte Person und deren Handlungsfähigkeit zur Zeit des Schadensereignisses widerrechtlich verursacht worden ist (BGH VersR 1978, 1163). Da die Verletzung des Körpers oder die Beschädigung einer Sache die Widerrechtlichkeit der Handlung indiziert, hat der Geschäftsherr den Ausschluss der Widerrechtlichkeit zu beweisen (BGH NJW 1957, 785).
Rz. 132
Der Geschäftsherr muss sich gem. § 831 Abs. 1 S. 2 BGB vom durch das Gesetz vermuteten Verschulden exkulpieren. Er kann den Entlastungsbeweis durch folgenden Nachweis führen:
▪ |
ordnungsgemäße Auswahl (BGH VersR 1984, 67) |
▪ |
ordnungsgemäße Überwachung (BGH VersR 1984, 67) |
▪ |
Nichtursächlichkeit der Sorgfaltspflichtverletzung für den Schaden |
▪ |
verkehrsgerechtes Verhalten des Verrichtungsgehilfen (BGH VersR 1958, 549). |
Rz. 133
An den Beweis einer ausreichenden Auswahl und Überwachung eines angestellten Kraftfahrers sind im Interesse der Verkehrssicherheit strenge Anforderungen zu stellen. Hierzu ist eine fortdauernde, planmäßige, auch unauffällige Überwachung mit unerwarteten Kontrollen erforderlich (OLG Hamm DAR 1998, 392).
Rz. 134
Beispiel
Ein Fahrer eines städtischen Omnibusbetriebes muss stark abbremsen, weil vor ihm ein Pkw, seinen Bus-Sonderfahrstreifen überquerend, in ein Grundstück einbiegt und dabei wegen eines Radfahrers seinerseits abbremsen muss. Ein Businsasse kommt zu Fall und verletzt sich. – Der Fahrer hat sich verkehrsgerecht verhalten: Hätte er nicht gebremst, wäre er mit unabsehbaren Folgen in den abbiegenden Pkw hineingefahren.
Rz. 135
Nach früherem Recht scheiterte beispielsweise eine Schmerzensgeldklage nach § 823 BGB gegen den Omnibusfahrer, weil ihm eine schuldhafte Pflichtverletzung nicht nachgewiesen werden konnte. Andererseits konnte den auf Zahlung von Schmerzensgeld mitverklagten Halter des Omnibusses als Geschäftsherrn eine Schadensersatzverpflichtung nach § 831 BGB treffen, wenn ihm der Entlastungsbeweis nicht gelang. Durch die Neufassung des § 7 StVG durch das Zweite Schadensrechtsänderungsgesetz ist dagegen eine Schmerzensgeldklage gegen den Halter – ohne Rücksicht auf seine Stellung als Geschäftsherr – von Erfolg, weil der Halter den Nachweis höherer Gewalt nicht führen kann (§ 7 Abs. 2 StVG).
Rz. 136
Beispiel
Eine Mofafahrerin war von einem sie überholenden Omnibusfahrer angefahren worden, sodass sie stürzte und sich verletzte. Sie nahm mit der Behauptung, der Busfahrer sei unter Verstoß gegen die Verkehrsvorschriften gefahren, neben diesem auch den Omnib...