Rz. 666

Mit Eintritt der Volljährigkeit endet die elterliche Sorge im Rechtssinne und als Teil hiervon die Pflicht zur Pflege und Erziehung des Kindes (§§ 1626, 1631). Zugleich tritt an die Stelle des entfallenen Betreuungsbedarfs ein erhöhter Barunterhaltsbedarf. Nunmehr besteht nach dem Gesetz kein rechtfertigender Grund mehr, weiterhin nur den bislang allein barunterhaltspflichtigen Elternteil mit dem nunmehr insgesamt in Form einer Geldrente zu entrichtenden Unterhalt zu belasten, wenn auch der andere Elternteil über Einkünfte verfügt, die ihm die Zahlung von Unterhalt ermöglichen.[859] Die Grundlage für eine Gleichbewertung von Betreuungs- und Barunterhalt (§ 1606 Abs. 3 Satz 2) ist ohne Rücksicht darauf entfallen, ob im Einzelfall etwa ein volljähriges Kind weiter im Haushalt eines Elternteils lebt und von diesem noch gewisse Betreuungsleistungen erhält.[860]

 

Rz. 667

Die in § 1606 Abs. 3 Satz 2 geregelte Gleichstellung von Bar- und Betreuungsunterhalt gilt jedoch nur für minderjährige Kinder. Nur diesen gegenüber erfüllt der betreuende Elternteil seine Unterhaltspflicht in der Regel durch Pflege- und Erziehungsleistungen. Auch gegenüber privilegierten volljährigen Kindern sind demzufolge beide Elternteile grundsätzlich barunterhaltspflichtig.[861] Der Bedarf des privilegiert volljährigen Kindes ergibt sich aus der 4. Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle.[862]

 

Rz. 668

Bezüglich des Bedarfs eines volljährigen Kindes ist zu unterscheiden, ob es noch im Haushalt seiner Eltern/eines Elternteils lebt oder ob es einen eigenen Hausstand hat.

[859] BGH FamRZ 2006, 99 = FuR 2006, 76; BGH FamRZ 1994, 696, 698 f.; FamRZ 2002, 815, 816 f.; FuR 2002, 223; OLG Oldenburg NJW-RR 2000, 1458; OLG Hamm FamRZ 2000, 379, 380; OLG Nürnberg FamRZ 2000, 687, 688.
[860] BGH FamRZ 1981, 541.
[861] BGH FamRZ 2002, 815 = FuR 2002, 223 m.w.N.; OLG Bremen OLGR 1999, 48; FamRZ 1999, 1529; OLG Dresden NJW 1999, 797, 798; OLG Düsseldorf FamRZ 1999, 1215, 1216; OLG Hamm NJW 1999, 798; FamRZ 1999, 1018; OLGR 2000, 159; OLG Karlsruhe FamRZ 1999, 45, 46; OLG Nürnberg MDR 2000, 34.
[862] OLG Hamm FamRZ 1999, 1018; vgl. auch alle unterhaltsrechtlichen Leitlinien der OLGe.

a) Kind im Haushalt seiner Eltern/eines Elternteils

 

Rz. 669

Für volljährige, auch gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 2 privilegierte Kinder (bis max. 21 Jahre), die noch im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils wohnen, ist der Bedarf anhand der Altersstufe 4 der Düsseldorfer Tabelle zu ermitteln. Die Lebensstellung des Kindes, also sein angemessener Unterhaltsbedarf, bestimmt sich nunmehr nicht mehr allein nach dem Einkommen des früher allein barunterhaltspflichtigen Elternteils, sondern nach den zusammengerechneten Einkünften beider Elternteile,[863] die beide anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen für den nunmehr erhöhten Barunterhalt des Kindes haften (§ 1606 Abs. 3 Satz 1). Auch wenn das Kind noch bei einem Elternteil lebt, beeinflussen die Einkommen beider Eltern regelmäßig die Lebensstellung des Kindes,[864] wobei überobligatorisch erzielte Einkünfte nicht einkommenserhöhend zu berücksichtigen sind. Die Sicherung des Existenzminimums ist für volljährige Kinder durch eine entsprechende Bedarfsbemessung nach der ersten Einkommensgruppe in der 4. Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle sicherzustellen.[865]

[863] BGH FamRZ 2002, 815 = FuR 2002, 223.
[864] BGH FamRZ 1986, 151; BGH FamRZ 1994, 696; FamRZ 2005, 1817 = FuR 2005, 555.
[865] BGH FamRZ 2007, 542 = FuR 2007, 163.

b) Volljähriges Kind mit eigenem Hausstand

 

Rz. 670

Der Lebensbedarf volljähriger Schüler, Auszubildender und Studenten mit eigenem Hausstand ist nach festen Regelbedarfssätzen nach den in den einzelnen OLG-Bezirken herangezogenen Tabellen/Leitlinien zu bemessen.

 

Rz. 671

 

Praxistipp

Ein eigener Hausstand des volljährigen Kindes liegt auch vor, wenn es bei den Großeltern lebt.[866]

 

Rz. 672

Der Bedarf erhöht sich um die Beiträge zur (privaten) Kranken- und Pflegeversicherung.[867] Dieser Festbetrag deckt den gesamten Bedarf des Kindes ab, insb. Verpflegung, Wohnung, Fachliteratur und Fahrten zum Studienort, nicht aber Studiengebühren.[868] Letztere stellen im Gegensatz zu den Semesterbeiträgen[869] unterhaltsrechtlich Mehrbedarf dar.[870]

 

Rz. 673

Der Unterhaltsbedarf eines volljährigen behinderten Kindes mit eigenem Hausstand entspricht dem notwendigen Selbstbehalt eines erwerbstätigen bzw. nichterwerbstätigen Unterhaltsschuldners, ist aber nicht mit dem Bedarf nach §§ 43 ff. SGB XII (Grundsicherungsleistungen) identisch.[871]

[866] OLG Hamm, Beschl. v. 28.5.2013 – 2 WF 98/13.
[867] BGH FamRZ 2005, 1817 = FuR 2005, 555; KG FamRZ 1985, 419; OLG Hamburg FamRZ 1984, 190.
[870] DT 2023 Anm. A 9, ebenso: KG Berlin, Beschl. v. 18.9.2012 – 17 WF 232/12.

c) Überdurchschnittliche wirtschaftliche Verhältnisse der Eltern/Konkrete Bedarfsbemessung

 

Rz. 674

Es gibt zwar grundsätzlich keine festgeschriebene Obergrenze für den Kindesunterhalt. Dennoch sind die Einkommensgruppen der Tabellen nach oben begrenzt: Für ein 5.101 EUR übersteigendes Nettoeinkommen verweist die DT auf die...

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