Rz. 301
Grundsätzlich ist die Bemessung der Höhe des Selbstbehalts im jeweiligen Unterhaltsschuldverhältnis Sache des Tatrichters, der unter Anwendung der geltenden Rechtsgrundsätze zu einem im Einzelfall angemessenen Ergebnis kommen soll.
Als Arbeitshilfe wurden in der Praxis Unterhaltsrichtlinien, Tabellen und Verteilungsschlüssel entwickelt, denen mittlerweile die Rechtsqualität von anerkannten Erfahrungssätzen zukommt. Insbesondere soll durch die Anwendung dieser Erfahrungssätze bei Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs "angemessener Unterhalt" eine möglichst gleichmäßige Behandlung gleichartiger Lebenssachverhalte gewährleistet werden.
Rz. 302
Hieraus wird deutlich, dass die sich aus der Tabelle für die Tabellenfamilie, die seit 1.1.2010 aus zwei Erwachsenen und einem Kind besteht, ergebenden Werte nicht absolut, sondern im Einzelfall unter Berücksichtigung aller konkreten Umstände sehr wohl veränderlich sind.
Rz. 303
Praxistipp
Es ist Sache des anwaltlichen Vertreters dem Gericht die Umstände aufzuzeigen, die im konkreten Sachverhalt zu einer Abweichung von den Erfahrungssätzen, wie sie in der Tabelle wiedergegeben werden, führen. So kann z.B. die Herab- oder Höherstufung in der Düsseldorfer Tabelle angezeigt sein, da der Sachverhalt von der Tabellenfamilie abweicht, indem mehr oder weniger Unterhaltspflichten zu bedienen sind.
aa) Der notwendige Selbstbehalt (§ 1603 Abs. 1)
Rz. 304
Im Verhältnis zu minderjährigen und privilegiert volljährigen Kindern stellt der notwendige Selbstbehalt die unterste Grenze der Inanspruchnahme des Unterhaltsschuldners dar. Der notwendige Selbstbehalt beträgt nach der Düsseldorfer Tabelle bei Erwerbstätigen seit 1.1.2023 1.370 EUR, beim Nichterwerbstätigen 1.120 EUR, wobei jeweils ein Betrag in Höhe von 520 EUR für Unterkunft, umlagefähige Nebenkosten und Heizung enthalten ist.
bb) Der angemessene Selbstbehalt (§ 1603 Abs. 2)
Rz. 305
Gegenüber Unterhaltsansprüchen volljähriger Kinder steht dem Unterhaltsschuldner der angemessene Selbstbehalt in Höhe von 1.650 EUR zu. In diesem Betrag sind 650 EUR für Warmmiete enthalten. Nach Auffassung des BGH ist nicht zu beanstanden, dass beim angemessenen Selbstbehalt im Hinblick auf eine Erwerbstätigkeit des Unterhaltsschuldners keine Unterscheidung – wie dies beim notwendigen Selbstbehalt der Fall ist – erfolgt.
Rz. 306
Die nachfolgenden Selbstbehalte werden an dieser Stelle lediglich der Vollständigkeit halber und als "griffbereite" Arbeitshilfe für das jeweilige Unterhaltsschuldverhältnis in der gebotenen Kürze dargestellt.
cc) Der Mindestselbstbehalt gegenüber dem getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten und gegenüber der Mutter eines nichtehelichen Kindes (§ 1615l)
Rz. 307
Der Mindestselbstbehalt hat dem Unterhaltsschuldner sowohl gegenüber dem von ihm getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten als auch gegenüber der Mutter eines nicht ehelichen Kindes zu verbleiben.
Er beträgt derzeit 1.510 EUR für den Erwerbstägigen und 1.385 EUR für den Nichterwerbstätigen. Er enthält jeweils 580 EUR für Warmmiete.
dd) Der individuelle (ehe-)angemessene Selbstbehalt gegenüber getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten und gegenüber der Mutter einen nichtehelichen Kindes (§ 1615l)
Rz. 308
Sofern im Unterhaltsschuldverhältnis ein neuer Ehegatte bzw. Partner beim Unterhaltsschuldner zu berücksichtigen ist, muss der Selbstbehalt individuell nach dem Grundsatz der Halbteilung bestimmt werden.
Gleiches gilt hinsichtlich des Selbstbehalts des Unterhaltsschuldners im Verhältnis zur Mutter eines nichtehelichen Kindes.
ee) Der angemessene Selbstbehalt gegenüber den Eltern
Rz. 309
Dem Unterhaltspflichtigen ist der angemessene Selbstbehalt zu belassen.
Bei dessen Bemessung sind Zweck und Rechtsgedanken des Gesetzes zur Entlastung unterhaltspflichtiger Angehöriger in der Sozialhilfe und in der Eingliederungshilfe (Angehörigenentlastungsgesetz) vom 10.Dezember 2019 (BGBl I S. 2135) zu beachten.