Rz. 98
Der Mehrbedarf ist Bestandteil des Lebensbedarfs nach § 1610 Abs. 2 eines minderjährigen Kindes, der während eines längeren Zeitraums regelmäßig anfällt, die üblichen Kosten übersteigt und deshalb mit den Regelsätzen der Düsseldorfer Tabelle nicht erfasst ist. Der Mehrbedarf muss kalkulierbar und aus diesem Grunde im Rahmen der Bemessung des laufenden Unterhalts zahlenmäßig erfassbar sein. Der Mehrbedarf ist vom Sonderbedarf nach § 1613 Abs. 2 abzugrenzen, der im Gegensatz zum Mehrbedarf einen unregelmäßig auftretenden, außergewöhnlich hohen Bedarf darstellt. Der Sonderbedarf besteht nicht auf Dauer und kann daher nur zu einer einmaligen, jedenfalls zeitlich begrenzten Ausgleichspflicht des Unterhaltsschuldners neben dem regelmäßig geschuldeten Barunterhalt führen.
Rz. 99
Praxistipp
Um eine Zahlungsverpflichtung des Unterhaltsschuldners für Sonderbedarf in Abgrenzung zum Mehrbedarf entstehen zu lassen, ist es erforderlich, dass sich die Kosten nicht mit Wahrscheinlichkeit vorhersehen lassen und im Rahmen des laufenden Unterhalts nicht berücksichtigt werden können.
Rz. 100
Die nachfolgenden – nicht abschließend – aufgezählten Kosten stellen Mehrbedarf dar:
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Heimunterbringung gem. § 37 SGBVIII, |
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Schulgeld für eine Privatschule, |
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Unterbringung in einer Privatschule, |
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Kosten für Internatsunterbringung (Pensionskosten als auch regelmäßig anfallende Nebenkosten), |
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Kosten für regelmäßig über einen längeren Zeitraum anfallende Nachhilfe, |
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Kosten für psychotherapeutische Behandlung regelmäßig über einen längeren Zeitraum, |
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krankheitsbedingte Mehrkosten wegen bestehender Behinderung, |
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Musikschule. |
Rz. 101
Kindergarten: Die Beiträge zum Kindergarten sind nicht in den Beträgen der Düsseldorfer Tabelle enthalten. Mit dieser Entscheidung gab der BGH seine bisherige Rechtsprechung auf, nach welcher die Kosten für den Halbtagsbesuch eines Kindergartens kein Mehrbedarf sein sollten. Wesentliches Argument des BGH in seiner Entscheidung vom 26.11.2008 ist, dass sich der Mindestunterhalt aus dem steuerlich sächlichen Existenzminimum ergibt (§ 32 Abs. 6 Satz 1 2. Hs EStG), in dem aber der notwendige Lebensbedarf enthalten ist (§§ 27 ff. SGB XII). Der Kindergartenbeitrag wird an dieser Stelle nicht erwähnt.
Rz. 102
Praxistipp
Die Kosten für die Verpflegung des Kindes in der Kinderbetreuungseinrichtung (Essensgeld) sind auch nach der neuen Auffassung des BGH weiterhin in der Unterhaltszahlung nach Düsseldorfer Tabelle enthalten.
Rz. 103
Eine Entscheidung des BGH, ob sonstige Betreuungskosten, wie z.B. Tagesmutter, Hausaufgabenbetreuung, Hortkosten o.ä., als Mehrbedarf anzusehen sind, liegt noch nicht vor. Klinkhammer lehnt dies ab und bewertet diese Kosten als berufsbedingte Aufwendungen des betreuenden Elternteils.
Rz. 104
Der Regelbedarf und der regelmäßig zu zahlende Mehrbedarf ergeben in Summe den Gesamtunterhaltsanspruch des minderjährigen Kindes. Diese Zahlung schuldet der barunterhaltspflichtige Elternteil, soweit sich nicht auch der betreuende Elternteil anteilig an den Kosten des Mehrbedarfs zu beteiligen hat. Das ist der Fall, wenn der seine Unterhaltspflicht durch Betreuung des minderjährigen Kindes erfüllende Elternteil über Einkünfte verfügt oder ihm solche wegen eines Verstoßes gegen die Erwerbsobliegenheit fiktiv zuzurechnen sind. Der betreuende Elternteil muss sich im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit nur am Mehrbedarf des minderjährigen Kindes anteilig, das heißt im Verhältnis der jeweiligen Einkünfte, beteiligen. Alleine hinsichtlich des Mehrbedarfs besteht also eine anteilige Barunterhaltsverpflichtung der Eltern, mithin auch des Elternteils, der seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem minderjährigen Kind durch Betreuung nachkommt. Soweit die Elternteile die Kosten des Mehrbedarfs anteilig nach ihren Einkommensverhältnissen und nach den Maßstäben des § 1603 Abs. 1 BGB zu tragen haben, es bei der Gegenüberstellung der beiderseitigen unterhaltsrechtlich relevanten Einkünfte generell ein Sockelbetrag in Höhe des angemessenen Selbstbehalts abzuziehen.
Rz. 105
Praxistipp
Hat der ein minderjähriges Kind betreuende Elternteil keine Einkünfte und besteht für ihn keine Erwerbsobliegenheit, so hat der barunterhaltspflichtige Elternteil den Gesamtbedarf, also Regel- und Mehrbedarfs, alleine im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit zu bestreiten.
Rz. 106
Der Barunterhaltsschuldner muss den Mehrbedarf bedienen, solange und soweit sein Selbstbehalt nicht berührt wird. Das gilt auch für den Fall, dass der Mehrbedarf des Kindes den Bedarf des Unterhaltsschuldners übersteigt.
Rz. 107
Praxistipp
Im Hinblick auf die verschärfte Haftung des Barunterhaltspflichtigen nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 ist bei minderjährigen Kindern der Mehrbedarf bis zum notwendigen Selbstbehalt zu decken.