Rz. 108
Nach § 1610 Abs. 2 umfasst der Unterhalt den gesamten Lebensbedarf einschließlich auch der Kosten einer angemessenen Vorbildung zum Beruf.
"Angemessen" ist die Ausbildung des Berechtigten dann, wenn sie der Begabung und den Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten, nicht nur vorübergehenden Neigungen des einzelnen Kindes entspricht. Geschuldet wird die den Eltern wirtschaftlich zumutbare Finanzierung einer optimalen begabungsbezogenen Berufsausbildung ihres Kindes, die dessen Neigungen gerecht wird, ohne dass sämtliche Neigungen und Wünsche berücksichtigt werden müssen, insbesondere nicht solche, die sich als nur flüchtig und vorübergehend erweisen oder mit den Anlagen und Fähigkeiten des Kindes oder den wirtschaftlichen Verhältnissen der Eltern nicht zu vereinbaren sind. Bei beengten wirtschaftlichen Verhältnissen der Eltern sind diese nicht zur Finanzierung einer aufwendigen Ausbildung des Kindes verpflichtet, selbst wenn diese Ausbildung der Begabung und den Interessen des Kindes entspricht.
Rz. 109
Praxistipp
Keinen Einfluss auf den Inhalt des Anspruchs des Berechtigten auf Ausbildungsunterhalt haben Beruf und/oder gesellschaftliche Stellung der Eltern. Abzustellen ist auf deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit.
Rz. 110
Dieser Grundsatz ist Ausfluss des unterhaltsrechtlichen Gegenseitigkeitsprinzips, das auch das ausbildungsunterhaltsrechtliche Schuldverhältnis prägt. Das Kind ist verpflichtet, eine angemessene, seinen Fähigkeiten und seiner Begabung, seinen Neigungen und seinem Leistungswillen entsprechende ordnungsgemäße Ausbildung zügig zu beginnen und mit gehörigem Fleiß, gebotener Zielstrebigkeit und entsprechender Disziplin in angemessener und üblicher Zeit zu beenden. Die Eltern auf der anderen Seite sind verpflichtet, eine pflichtbewusste und zielstrebig betriebene Ausbildung in angemessener und üblicher Zeit durch angemessene Unterhaltszahlung zu finanzieren.
Rz. 111
Praxistipp
Der Anspruch auf Ausbildungsunterhalt ist Deszendentenunterhalt, er kann also von Kindern gegenüber den Eltern geltend gemacht werden. Der Elternunterhalt als Aszendentenunterhalt kennt den Ausbildungsunterhalt als Inhalt nicht.
Rz. 112
Die nachfolgende Darstellung folgt der Chronologie der Ausbildung eines Kindes, beginnt also mit Erlangung des Schulabschlusses.
aa) Der Schulabschluss
Rz. 113
Selbst wenn das Kind sich um einen Ausbildungsplatz rechtzeitig bemüht hat, entsteht für das Kind ein Zeitraum Schulabschluss und Ausbildungsbeginn als Freizeit. Diesen muss das Kind mit einer Beschäftigung überbrücken.
Rz. 114
Nach Abschluss der Schulausbildung muss das Kind eine Berufsausbildung aufnehmen. Unterlässt es das und kann keine weitreichenden Bemühungen um einen Ausbildungsplatz nachweisen, verletzt es nachhaltig seine Ausbildungs- und Erwerbsobliegenheit.
Rz. 115
Praxistipp
Es ist dem Kind zuzumuten, sich im Hinblick auf den absehbar endenden Schulbesuch rechtzeitig eine Ausbildungsstelle zu suchen und anzutreten. Kommt das Kind seiner Erwerbsobliegenheit nicht nach, können ihm im Rahmen der Unterhaltsberechnung eigene – fiktive – Einkünfte angerechnet werden, da selbst vor dem denkbaren Einwand des § 1611 Abs. 2 wegen des Verstoßes gegen die Erwerbsobliegenheit fiktive Einkünfte anzurechnen sind.
(1) Berufsausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG
Rz. 116
Mit erfolgreicher Beendigung der allgemeinen Schulausbildung muss das Kind sich um eine angemessene Vorbildung zum Beruf, also um die Aufnahme einer Berufsausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG bemühen. In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernstlich darauf vorbereitet. Davon sind alle Maßnahmen erfasst, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind.
Rz. 117
Praxistipp
Keine Berufsausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG ist das Ableisten eines freiwilligen sozialen oder ökologischen Jahres. Etwas anderes gilt nur, wenn dieses Jahr der Vorbereitung auf eine konkret angestrebte Berufsausbildung dient.
Rz. 118
Wird die Ableistung eines freiwilligen sozialen oder ökologischen Jahres hingegen als Voraussetzung für die angestrebte Ausbildung gefordert und dient sie dem Erreichen eines konkreten Berufsziels, so ist das Kind während dieser Zeit anspruchsberechtigt.
Rz. 119