Rz. 888
Die Bestimmung des Einkommens folgt den allgemeinen Grundsätzen, wobei sich im Unterhaltsrechtsverhältnis zum volljährigen Kind insofern Besonderheiten im Vergleich zum minderjährigen und/oder privilegiert volljährigen Unterhaltsgläubiger ergeben, als der Umfang der Erwerbsobliegenheit ein geringerer ist und die Hausmann-Rechtsprechung in nur sehr eingeschränktem Umfang Geltung hat.
aa) Tatsächliche Einkünfte des Unterhaltsschuldners
Rz. 889
Im Rahmen der Prüfung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners gegenüber dem volljährigen Kind ist sein gesamtes tatsächlich erzieltes Einkommen mit berufstypischen Zuschlägen und erzielten bzw. erzielbaren steuerlichen Vorteilen maßgeblich. Daher ist das unterhaltsrechtlich relevante Einkommen des Unterhaltsschuldners nach den allgemeinen Grundsätzen zu ermitteln.
bb) Erwerbsobliegenheit des Unterhaltsschuldners
Rz. 890
Die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners wird auch durch seine Erwerbsfähigkeit und seine Erwerbsmöglichkeiten bestimmt. Sofern er über keine oder zu geringe Einkünfte verfügt, um den geschuldeten Unterhalt zu bedienen, trifft ihn die unterhaltsrechtliche Obliegenheit, die ihm möglichen und zumutbaren Einkünfte zu erzielen, insbesondere seine Arbeitskraft optimal einzusetzen. Kommt der Unterhaltsschuldner dieser Obliegenheit unterhaltsbezogen leichtfertig und vorwerfbar nicht nach, werden ihm solche Einkünfte – fiktiv – als unterhaltsrechtliches Einkommen angerechnet, die er unterhaltsbezogen verantwortungslos nicht bezieht.
Rz. 891
Die Zurechnung fiktiver Einkünfte bedingt neben den fehlenden subjektiven Erwerbsbemühungen (unterhaltsbezogen leichtfertig) des Unterhaltsschuldners in objektiver Hinsicht, dass die zur Erfüllung der Unterhaltspflicht erforderlichen Einkünfte vom Unterhaltsschuldner überhaupt erzielt werden können. Der Unterhaltsschuldner muss entsprechende Bemühungen um eine Arbeitsstelle an den Tag legen, die in der Regel durch eine ausreichende Anzahl von Bewerbungen zu dokumentieren sind.
Rz. 892
Praxistipp
Grundsätzlich genügt der Unterhaltsschuldner seiner Erwerbsobliegenheit, wenn er einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit nachgeht, wobei die Überstundenvergütung dem Einkommen hinzuzurechnen ist, wenn sie berufstypisch sind oder in nur geringfügigem Umfang anfallen.
cc) Einsatz des Vermögensstamms des Unterhaltsschuldners
Rz. 893
Aus dem Anspruch auf Kindesunterhalt des volljährigen Kindes gegen die Eltern nach § 1603 Abs. 1 ergibt sich unmittelbar die Verpflichtung des Unterhaltsschuldners, den Stamm seines Vermögens zur Unterhaltsleistung einzusetzen, wenn und soweit seine Einkünfte aus Erwerbstätigkeit und Vermögen nicht ausreichen, um den Anspruch zu erfüllen.
Rz. 894
Sofern der Unterhaltsschuldner dieser Verpflichtung nicht nachkommt, werden ihm fiktive Einkünfte angerechnet. Es besteht aber kein Anspruch gegen ihn auf ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen bezüglich des Vermögensstamms.
Die Verpflichtung zur Verwertung des Vermögens an sich endet, wenn der Unterhaltsschuldner durch die Verwertung Einkünfte aus dem Vermögen verliert, seinen eigenen Lebensbedarf gefährdet oder die Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich ist.
Rz. 895
Praxistipp
Dem Unterhaltsschuldner ist wohl ein Schonbetrag von bis zu 10.000 EUR zu belassen.
dd) Die Hausmann-Rechtsprechung im Unterhaltsrechtsverhältnis zum volljährigen Kind
Rz. 896
Die Grundsätze der Hausmann-Rechtsprechung im Unterhaltsrechtsverhältnis mit dem minderjährigen und/oder privilegiert volljährigen Kind können nicht auf das volljährige Kind übertragen werden, da wesentlicher Inhalt dieser Rechtsprechung die gesteigerte Unterhaltspflicht des Schuldners gegenüber dem minderjährigen und/oder privilegiert volljährigen Kind und deren Gleichrang i.S.d. § 1609 ist.
Rz. 897
Wenn und soweit der unterhaltspflichtige Elternteil Einkünfte erzielt, die seinen angemessenen Selbstbehalt übersteigen oder dieser durch Einkünfte des – neuen – Ehegatten gesichert sind, besteht seine Leistungsfähigkeit hinsichtlich des volljährigen Kindes. Ausschließlich bei Vorliegen dieser Voraussetzungen kann der Anspruch des nicht leistungsfähigen Elternteils auf Zahlung von Taschengeld gegen seinen Ehegatten für Unterhaltszwecke Verwendung finden.