Rz. 37

§ 1610 definiert den Bedarf als das nach der Lebensstellung des Bedürftigen zu bestimmende Maß des zu gewährenden Unterhalts (angemessener Unterhalt).

 

Rz. 38

Der Verwandtenunterhalt bietet keine Lebensstandardgarantie.[41] Dieser "angemessene Unterhalt" des § 1610 ist daher ein Individualunterhalt, der sich alleine und ausschließlich aus den Verhältnissen auf Gläubigerseite, also des Bedürftigen, ergibt.[42]

 

Rz. 39

Daher bestimmt sich nach § 1610 Abs. 1 der angemessene Unterhalt und damit das Maß des zu gewährenden Unterhalts nach der Lebensstellung des Bedürftigen. Der Minderjährige als Bedürftiger und Unterhaltsgläubiger hat selbst (noch) keine eigene Lebensstellung erreicht, so dass sich seine Lebensstellung und damit sein Bedarf – als Maß des zu gewährenden Unterhalts – von der Lebensstellung der unterhaltspflichtigen Eltern ableitet.[43] Folglich nimmt der Minderjährige an der gesamten Lebenssituation der Eltern teil.[44]

Diese Lebenssituation der Eltern wird durch ihre Einkünfte abgebildet, wobei die Herkunft der Einkünfte keine Rolle spielt. Folglich sind alle Einkünfte und geldwerten Vorteile bei der Ermittlung des Einkommens des barunterhaltspflichtigen Elternteils zu berücksichtigen.[45] erwirtschaften beide Elternteile Einkommen, so ist der Barunterhalt des Kindes aus dem zusammengerechneten Einkommen der Eltern zu ermitteln. Die Unterhaltspflicht des barunterhaltspflichtigen Elternteils ist bei Betreuung des Kindes im Residenzmodell auf den Betrag begrenzt, den der barunterhaltspflichtige Elternteil aufgrund des von ihm erzielten Einkommens zahlen muss. Daher muss der betreuende Elternteil gegebenenfalls neben dem Betreuungsunterhalt restlichen Barunterhalt in Form von Naturalunterhalt leisten.[46]

 

Rz. 40

 

Praxistipp

Der barunterhaltspflichtige Elternteil[47] muss grundsätzlich sein gesamtes anrechenbares Nettoeinkommen zur Unterhaltsleistung heranziehen.

 

Rz. 41

Allerdings wird die Lebensstellung des barunterhaltspflichtigen Elternteils nicht ausschließlich durch seine tatsächlichen Einkünfte bestimmt, vielmehr sind auch solche Erwerbsmöglichkeiten zu berücksichtigen, die er nutzen könnte. Dem arbeitsfähigen Schuldner ist wegen unzureichender Erwerbsbemühungen um eine Arbeitsstelle ein fiktives Einkommen zuzurechnen, das auch für die Bemessung des Unterhalts, also bei der Bedarfsermittlung, maßgebend ist.[48]

 

Rz. 42

 

Praxistipp

Auch fiktive Einkünfte sind bei der Bedarfsermittlung beim barunterhaltspflichtigen Elternteil zu berücksichtigen.
Freiwillige Leistung Dritter jedoch erhöhen die beim barunterhaltspflichtigen Elternteil zu berücksichtigenden Einkünfte nicht.

Der Unterhaltsberechtigte ist darlegungs- und beweisbelastet für die Tatsachen, aus denen sich sein Bedarf und seine Bedürftigkeit ergeben.[49]

[41] OLG Zweibrücken NJW 1997, 2390.
[42] Weinreich/Eder, § 1610 Rn 1.
[43] BGH FamRZ 2017, 711.
[44] BGH FamRZ 2021, 28.
[45] Dose/Klinkhammer, § 2 Rn 205.
[46] BGH FamRZ 2022, 1366.
[47] BGH FamRZ 2007, 707, 708; a.A. Dose/Klinkhammer, § 2 Rn 206.
[48] Dose/Klinkhammer, § 2 Rn 207.

1. Der Mindestbedarf (Mindestunterhalt, § 1612a Abs. 1 Satz 2 und 3)

 

Rz. 43

Grundsätzlich hat das minderjährige Kind Anspruch auf Zahlung des gesetzlichen Mindestunterhalts, der in § 1612a Abs. 1 Satz 2 und 3 definiert ist. Für diesen Mindestbedarf des minderjährigen Unterhaltsgläubigers haftet der Unterhaltsschuldner im Rahmen seiner verschärften Leistungspflicht nach § 1603 Abs. 2 Satz 1.

a) Entwicklung und Herleitung des Mindestbedarfs

 

Rz. 44

Ursprünglich, nämlich bis 30.6.1998, musste gemäß § 1615f Abs. 1 a.F. für nichteheliche Kinder der in der Regelunterhalts-VO festgelegte Regelunterhalt gezahlt werden. Nach § 1610 Abs. 3 Satz 1 a.F. war diese Verordnung auch Grundlage für den Mindestunterhalt des ehelichen Kindes. In der Zeit von 1.7.1998 bis 31.12.2007 bestimmte sich der Unterhaltsbedarf des ehelichen als auch des nichtehelichen Kindes nach seinen Verhältnissen (§ 1610 a.F.), die wiederum von den Einkommensverhältnissen des barunterhaltspflichtigen Elternteils abhingen. Der Unterhalt wurde nach dem Vomhundertsatz des jeweiligen Regelbetrags bestimmt, der in der Regelbetrag-VO angegeben wurde.[50]

 

Rz. 45

Seit 1.1.2008 mit Inkrafttreten der Unterhaltsreform 2007 definiert § 1612a Abs. 1 Satz 2 den gesetzlichen Mindestunterhalt als denjenigen Barbetrag, auf den das minderjährige Kind grundsätzlich Anspruch hat, und den der Unterhaltsschuldner grundsätzlich zu leisten verpflichtet ist.[51]

 

Rz. 46

§ 1612a Abs. 1 bestimmt den unterhaltsrechtlichen Mindestbedarf eines minderjährigen Kindes[52] und nimmt dabei an, dass das minderjährige Kind jedenfalls in Höhe des Mindestunterhalts bedürftig ist und der barunterhaltspflichtige Elternteil grundsätzlich in der Lage ist, seinem nicht mit ihm in einem Haushalt lebenden Kind, zumindest den Mindestunterhalt zu bezahlen. Die Düsseldorfer Tabelle geht vom Mindestunterhalt als Grundlage aus, wobei dieser den gesamten Lebensbedarf des Kindes (ohne Vorsorge für Krankheit und Pflege) umfasst.[53]

 

Rz. 47

 

Praxistipp

Der Mindestbedarf enthält die Bedarfspositionen Kosten der U...

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