Dr. iur. Klaus-Peter Horndasch
1. Beiderseitige Barunterhaltspflicht
Rz. 163
Nach dem Gleichwertigkeitsprinzip des § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB leistet ein Elternteil nach Trennung bzw. Scheidung der Eltern dem minderjährigen unverheirateten Kind in der Regel durch Pflege, Betreuung und Versorgung Naturalunterhalt, während der andere Elternteil barunterhaltspflichtig ist. Naturalunterhalt und Barunterhalt gelten als gleichwertig.
Rz. 164
Ausnahmsweise jedoch kann das Gleichwertigkeitsprinzip des § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB durchbrochen werden mit der Folge, dass beide Elternteile dem Kind barunterhaltspflichtig sind. Diese Situation tritt vor allem in folgenden Fällen ein:
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Betreuung je eines gemeinsamen Kindes, |
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Wechselmodell, |
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Fremdbetreuung eines Kindes, |
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stark ungleichgewichtige Einkommens- und Vermögensverhältnisse, |
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zu berücksichtigende Schuldenlast aus der Zeit gemeinsamer Lebensführung der Eltern, |
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Anteilshaftung beim Zusammentreffen minderjähriger und privilegiert volljähriger Kinder. |
Rz. 165
Es ist jeweils im Einzelfall abzuwägen und zu entscheiden, ob die Ausnahme der Barunterhaltspflicht beider Elternteile besteht. Kommt eine solche Barunterhaltspflicht beider Elternteile in Betracht, ist es immer sinnvoll, eine Vereinbarung über die anteiligen Unterhaltsbeträge zu schließen. Dies hängt aber naturgemäß von dem Grund für die bestehende beiderseitige Barunterhaltspflicht ab.
a) Die Betreuung je eines gemeinsamen Kindes
Rz. 166
Betreut jeder Elternteil, etwa durch Geschwistertrennung, ein oder mehrere gemeinsame minderjährige Kinder, bleibt es grundsätzlich bei der Gleichwertigkeitsregelung des § 1603 Abs. 3 S. 2 BGB. Dies bedeutet, dass jeder Elternteil für das bei ihm lebende Kind keinen Barunterhalt, sondern Naturalunterhalt durch Pflege, Betreuung und Versorgung leistet. Jedoch ist jeder Elternteil für das nicht bei ihm lebende Kind barunterhaltspflichtig.
Rz. 167
Die Berechnung erfolgt wie folgt:
Rechenbeispiel
Berechnung nach Stand Düsseldorfer Tabelle vom 1.1.2022.
Bereinigtes Einkommen Kindesvater M: 3.000 EUR
Bereinigtes Einkommen Kindesmutter F: 2.500 EUR
K1, 13 Jahre alt, wird von der Kindesmutter betreut
K2, 16 Jahre alt, wird vom Kindesvater betreut
Unterhaltspflicht Kindesvater für K1:
Höherstufung Eink.gr. 4 auf 5 nach Düsseldorfer Tabelle wegen Unterhaltspflicht ausschließlich gegenüber einer unterhaltsberechtigten Person,
640 EUR – 109,50 EUR ½ Kindergeld = 530,50 EUR
Unterhaltspflicht Kindesmutter für K2:
Höherstufung s.o. von Eink.gr. 3 auf 4,
613 EUR – 109,50 EUR ½ Kindergeld = 503,50 EUR.
Differenzzahlung: 530,50 EUR – 503,50 EUR = 27 EUR von M an F zu zahlen.
Es liegt nahe, bei derart geringen Differenzen auf die Ausgleichszahlung zu verzichten und beispielsweise Sparbücher für die Kinder anzulegen.
Hierüber können Elternteile natürlich eine Verrechnungsvereinbarung treffen. Diese wäre im Kern wie folgt zu formulieren:
Rz. 168
Muster 2.16: Verrechnung von Kindesunterhalt bei Betreuung je eines Kindes
Muster 2.16: Verrechnung von Kindesunterhalt bei Betreuung je eines Kindes
1. |
Im Hinblick auf die Verpflichtung zur jeweiligen Zahlung von Kindesunterhalt für das vom barunterhaltspflichtigen Elternteil nicht betreute Kind verzichten wir auf die jeweilige Zahlung und nehmen eine Verrechnung der Zahlungspflichten vor. |
2. |
Die Differenzzahlung beträgt nach der als Anlage dieser Vereinbarung beigefügten Berechnung 27 EUR. |
3. |
Wir vereinbaren, dass der Kindesvater diesen Betrag hälftig jeweils monatlich auf ein für jedes der Kinder anzulegendes Sparbuch einzahlt, über das die Erschienenen nur gemeinsam verfügungsberechtigt sind. |
4. |
Die Vereinbarung bleibt gültig, solange sich die Kinder in der Schulausbildung befinden und jeweils von einem Elternteil betreut werden. |
5. |
Im Falle der Änderung eines Zahlungsbetrages durch Änderung der Einkommensverhältnisse oder Höherstufung eines der Kinder nach der Altersstruktur der Düsseldorfer Tabelle ist der Differenzbetrag entsprechend anzupassen und in gleicher Weise zu verwenden. |
Rz. 169
Zu beachten ist im vorliegenden Fall, dass sich mit Volljährigkeit der Zahlbetrag ändert. Die Kindesmutter müsste dann für K2 436 EUR zahlen; auf den Bedarf von 655 EUR ist bei Volljährigkeit das volle Kindergeld anzurechnen, so dass 655 EUR – 219 EUR = 436 EUR zu zahlen sind. Die Differenz erhöht sich sodann auf 94,50 EUR.
b) Fremdbetreuung eines Kindes
Rz. 170
Überlässt beispielsweise der bisher betreuende Elternteil die Pflege und Erziehung des Kindes vollständig einem Dritten, hat auch dieser Elternteil Barunterhalt zu leisten.
Rz. 171
Wegen der Gleichwertigkeit von Barunterhalt und Betreuungsunterhalt ist sodann von beiden Eltern Barunterhalt pauschal in anfallender Höhe zu zahlen, entsprechend den Einkommensverhältnissen der Elternteile. Hierüber ist eine Einigung sinnvoll, ggf. mit den betreuenden Personen.
Rz. 172
Rechenbeispiel
Berechnung nach Stand Düsseldorfer Tabelle vom 1.1.2022.
Kind K, 13 Jahre alt, lebt im Haushalt der Großeltern; Einkommen der Eltern: M 3.000 EUR, F 2.500 EUR, die Großeltern erhalten das Kindergeld,
Bedarf des Kindes nach dem zusammengerechneten Einkommen der Eltern 5.500 EUR (3.000 EUR + 2.500 ...