Dr. Detlef Grimm, Dr. Stefan Freh
a) Typischer Sachverhalt
Rz. 193
Beispiel
Der Arbeitgeber möchte in seinem Produktionsbetrieb ein Schichtsystem einführen, um die Maschinenlaufzeit zu erhöhen und so eine bessere Ausnutzung der Investitionen zu erreichen. Wegen der erfreulichen Auftragslage soll zudem die wöchentliche Arbeitszeit von 38 Stunden auf 40 Stunden erhöht werden. Daneben soll in der Produktion kurzfristig am folgenden Samstag eine Sonderschicht eingeführt werden, um einen zeitkritischen Auftrag fristgemäß fertigzustellen. In der Verwaltung sollen die Mitarbeiter – insbesondere in der Auftragsannahme – auch außerhalb der betriebsüblichen Arbeitszeit mobil erreichbar sein. Für den Vertrieb wird die Teilnahme an Messen im Ausland angeordnet – die Reisezeit soll zur Vor- und Nachbereitung der Kunden- und Messetermine genutzt werden.
Der Betriebsrat ist mit diesen Plänen des Arbeitgebers nicht einverstanden. Allenfalls für die Sonderschicht am folgenden Samstag besteht die Bereitschaft zur Zustimmung. Wegen des Freizeitverlustes für die Mitarbeiter (und der Wochenendeinschränkung) wird die Zustimmungsgewähr jedoch von der Zusage einer Zulage an die Mitarbeiter abhängig gemacht.
b) Erläuterungen
Rz. 194
Zur Arbeitszeit enthält § 87 Abs. 1 BetrVG zwei Mitbestimmungstatbestände. So erstreckt sich das Beteiligungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG auf die Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen und Verteilung der Arbeitszeit auf die Wochentage. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ist vom Mitbestimmungsrecht die vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit erfasst. Nicht erfasst ist die generelle Festlegung der Dauer der Arbeitszeit. Hierzu fehlt dem Betriebsrat die Regelungskompetenz wegen Eingreifens des Tarifvorbehalts des § 77 Abs. 3 BetrVG (siehe hierzu auch Rdn 202). Zweck der Mitbestimmungstatbestände in § 87 BetrVG ist, dem Direktionsrecht des Arbeitgebers zum Schutz der Arbeitnehmer Schranken zu setzen, um auch den Interessen der Arbeitnehmer bei der Festlegung der Arbeitszeitlage und ihrer Freizeitinteressen zur Gestaltung des Privatlebens Geltung zu verschaffen.
Rz. 195
Arbeitszeit im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG ist nach Sinn und Zweck des Mitbestimmungsrechts zu definieren. Der Begriff ist nicht deckungsgleich mit dem der vergütungspflichtigen Arbeitszeit, dem des Arbeitszeitgesetzes bzw. dem der Arbeitszeitrichtlinie. "Arbeitszeit" im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne ist die Zeit, während derer der Mitarbeiter die von ihm in einem bestimmten zeitlichen Umfang tarif- oder einzelvertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbringen soll; Arbeit sei die Zeit, die der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses diene. Zu ihr gehören auch Zeiten der Arbeitsbereitschaft, des Bereitschaftsdienstes und der Rufbereitschaft (siehe hierzu Rdn 204). Zeiten, in denen der Mitarbeiter außerhalb der betriebsüblichen Arbeitszeit auf Anordnung seines Arbeitgebers mobil erreichbar ist, sind jedenfalls dann als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes zu werten, wenn der Mitarbeiter tatsächlich zwecks Arbeitserbringung tätig wird (d.h. z.B. Telefonate führt oder Emails mobil bearbeitet) und dieses Tätigwerden nicht bloß in jeder Hinsicht geringfügig ist.
Rz. 196
Ob Reise- oder Dienstreisezeiten unter diesen Arbeitszeitbegriff (im arbeitszeitrechtlichen und betriebsverfassungsrechtlichen Sinne) fallen, ist differenziert zu betrachten. Für Reisezeiten der Außendienstmitarbeiter, Zugbegleiter, Reiseleiter gilt, dass diese Teil der vertraglich geschuldeten Leistung ist, denn andernfalls könnten sie ihre Arbeitsvertragspflichten nicht erfüllen. Entsprechend sieht die Rechtsprechung auch die Reisezeit des Außendienstmitarbeiters (z.B. vom Homeoffice) zum ersten Kundenbesuch ebenso als Arbeitszeit an, wie die Zeit der Rückreise vom letzten Kundenbesuch. Eindeutig der Arbeitszeit (im arbeitszeitrechtlichen und betriebsverfassungsrechtlichen Sinne) zuzuordnen sind auch Reisezeiten, die der Mitarbeiter zur Erbringung konkreter Aufgabenerfüllung aus seinem Arbeitsverhältnis nutzt (wie das Führen von Kundentelefonaten, Aktenstudium etc.). Ebenso werden Reisezeiten – unter Verweis auf die Beanspruchungstheorie – der Arbeitszeit zugeordnet, die der Arbeitnehmer auf Weisung des Arbeitgebers in Dienstwagen selber fahrend aufwendet. Zunehmend wird man aber nicht mehr (nur) auf die Beanspruchung des Mitarbeiters während der Dienstreise abstellen können. Vielmehr wird auch die europarechtliche Bewertung der Arbeitszeit nach dem Maß der Einschränkung der Arbeitnehmer in ihren persönlichen und sozialen Interessen im Rahmen der Zeitgestaltung bei der Bewertung zu berücksichtigen sein, ob die im Interesse der Aufgabenerfüllung auf Dienstreisen aufgewendete Zeit als Arbeitszeit zu bewerten ist. Kann der Arbeitnehmer seine Reisezeit frei gestalten und muss er insbesondere nicht damit rechnen, vom Arbeitgeber zur Arbeitsleistung in Anspruch genommen zu werden, spricht vieles...