Dr. Detlef Grimm, Dr. Stefan Freh
Rz. 1156
Generell muss der Insolvenzverwalter die offenen Forderungen aller Insolvenzgläubiger aus der Insolvenzmasse (§ 35 InsO) gleichmäßig erfüllen. Den Arbeitnehmern kommt bei einer Insolvenz des Arbeitgebers jedoch in zweierlei Hinsicht eine Sonderstellung zu. Zum einen berührt die Insolvenz die Arbeitsverhältnisse nach § 108 Abs. 1 S. 1 InsO nicht, sie bestehen grundsätzlich fort. Zum anderen sind die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Ansprüche der Arbeitnehmer gegenüber anderen Gläubigern bevorrechtigt; teils entstehen sogar neue Ansprüche wie z.B. gegenüber der Bundesagentur für Arbeit auf Insolvenzgeld. Für die insolvenzrechtliche Einordnung der Arbeitnehmeransprüche und damit auch deren Sicherung im Insolvenzverfahren ist zu unterscheiden, ob diese vor der Eröffnung oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind. Zur Abgrenzung der Insolvenzforderung von der Masseverbindlichkeit ist auf das zeitliche Moment der Begründung der jeweiligen Forderung abzustellen. Entscheidend ist, dass der Rechtsgrund zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bereits gelegt bzw. der den Anspruch begründende Tatbestand verwirklicht und damit abgeschlossen war.
Praxistipp
Die Ansprüche des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis werden unterschiedlich behandelt, je nachdem ob sie vor oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind. Der Entstehungszeitpunkt ist für jeden Anspruch gesondert zu prüfen.
a) Ansprüche aus der Zeit vor der Insolvenzeröffnung
Rz. 1157
Ob es sich um einen Anspruch vor oder nach der Insolvenzeröffnung handelt, bestimmt sich nicht nach der Fälligkeit, sondern nach dem Entstehen der Forderung.
aa) Entgeltschutz in der Insolvenz
Rz. 1158
Die ehemals in der KO geregelte Privilegierung der Arbeitnehmeransprüche auf rückständiges Arbeitsentgelt aus der Zeit vor der Verfahrenseröffnung gilt nicht mehr. Gemäß §§ 38, 108 Abs. 2 InsO sind sämtliche rückständigen Vergütungsansprüche der Arbeitnehmer, seien es Geld- oder Naturalleistungen, nur noch einfache Insolvenzforderungen. Die Ansprüche der Sozialversicherungsträger sind gleichfalls nicht bevorrechtigt, ebenso wenig die Lohnsteuerforderungen. Nach § 39 InsO sind lediglich bestimmte Nebenforderungen wie z.B. Zinsansprüche und Kosten wegen der Teilnahme am Insolvenzverfahren "nachrangig". Wertguthaben auf Arbeitszeitkonten sind den Zeiträumen der tatsächlichen Arbeitsleistung zuzuordnen. Um in der Insolvenz Nachteile des Arbeitnehmers zu vermeiden, hat der Gesetzgeber in den Vorschriften der §§ 7b ff. SGB IV die insolvenzrechtliche Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen umgesetzt. Die Vergütungsansprüche sind damit, soweit sie nicht wegen beantragten Insolvenzgeldes auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangen sind, wie jede andere Insolvenzforderung vom Arbeitnehmer zur Insolvenztabelle anzumelden. Voraussetzung für die Anmeldung zur Tabelle ist, dass der Vergütungsanspruch zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung noch nicht aufgrund tariflicher oder vertraglicher Ausschlussfristen verfallen ist. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelten tarifvertragliche Verfallsklauseln für die Insolvenzforderungen der Arbeitnehmer nicht mehr. Die Anmeldung als Insolvenzforderung hemmt zudem eine laufende Verjährungsfrist (§ 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB).
Hinweis
In der InsO gibt es keine bevorrechtigten Gläubigergruppen. Weder die Arbeitnehmeransprüche vor Eröffnung der Insolvenz noch die Ansprüche der Sozialversicherungsträger oder Lohnsteuerforderungen sind privilegiert.