Dr. Detlef Grimm, Dr. Stefan Freh
Rz. 635
Bei der Auswahl der Maßnahmen sind die Grundsätze des § 4 ArbSchG einzuhalten. Die Gefährdung ist möglichst zu vermeiden. Soweit dies nicht geschehen kann, ist die verbleibende Gefährdung möglichst gering zu halten. Gefahren sind an ihrer Quelle zu bekämpfen (§ 4 Nr. 1 und 2 ArbSchG). Dieser Ansatz zielt auf die Arbeit und die Bedingungen, unter denen sie ausgeführt wird. Verhältnisprävention geht von Verhaltensprävention.
(a) Beispiel Lärm (1)
Rz. 636
Anschaulich wird dieser Grundsatz in der LärmVibrationsArbSchV normativ umgesetzt: Deren § 6 unterscheidet zwischen den oberen Auslösewerten 85 dB(A) bzw. 137 dB(C) und dem unteren Auslösewert 80 dB(A) bzw. 135 dB(C). Bei der Anwendung der Auslösewerte wird die dämmende Wirkung eines persönlichen Gehörschutzes der Beschäftigten nicht berücksichtigt.
Der § 7 Abs. 1 regelt die Reihenfolge der aufgrund der Lärmexposition erforderlichen Schutzmaßnahmen: Die Lärmemission muss am Entstehungsort verhindert oder soweit wie möglich verringert werden. Technische Maßnahmen haben Vorrang vor organisatorischen Maßnahmen. Diese haben Vorrang vor der Verwendung von Gehörschutz nach § 8.
Deutlich wird das allgemeine Prinzip
S = Substitution
T = Technische Maßnahmen
O = Organisatorische Maßnahmen
P = Persönliche Maßnahmen
Der EuGH hatte durch Beschl. v. 19.11.2011 klargestellt, dass der Arbeitgeber nicht von der Verpflichtung eines Lärmminderungsprogrammes enthoben ist, wenn durch persönlichen Gehörschutz erreicht wird, dass der obere Lärmexpositionspegel von 85 dB(A) nicht überschritten wird.
(b) Beispiel Lärm (2) und gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse
Rz. 637
Schall betrifft nicht nur die Belastung der Beschäftigten durch Werte ab 80 dB(A). Allgemein sind Arbeitsstätten so einzurichten, dass der Schalldruckpegel so niedrig gehalten wird, wie es nach der Art des Betriebes möglich ist. Der Schalldruckpegel am Arbeitsplatz in Arbeitsräumen ist in Abhängigkeit von der Nutzung und den zu verrichtenden Tätigkeiten soweit zu reduzieren, dass keine Beeinträchtigungen der Gesundheit der Beschäftigten entstehen (Anhang zu § 3 Arbeitsstättenverordnung Nr. 3.7). Bei der Anwendung dieser allgemeinen Vorschrift wird § 4 Nr. 3 ArbSchG relevant. Er verlangt, dass bei den Maßnahmen der Stand von Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen sind. In der betrieblichen Praxis kann zunächst auf die technischen Regeln zurückgegriffen werden. Bezogen auf Lärm ist dies die ASR A3.7, Ausgabe Mai 2018. Hiernach ist gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnis, dass Lärm nicht nur das Gehör schädigt, sondern darüber hinaus zu weiteren körperlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen führt (extra-aurale Lärmwirkungen). Die ASR A3.7 enthält eine Auflistung von Grenzwerten je nach Art der Tätigkeit und Gestaltung Vorschläge. Seit ihrer Veröffentlichung ist erhebliche Unsicherheit im Hinblick auf die Anforderungen an den Schallschutz in den Arbeitsstätten beseitigt.
Rz. 638
Der § 4 Nr. 4 ArbSchG nennt Grundsätze für die Planung von Maßnahmen. Es wird betont, dass Technik, Arbeitsorganisation, sonstige Arbeitsbedingungen, soziale Beziehungen und Einfluss der Umwelt auf den Arbeitsplatz zusammen auf die Beschäftigten einwirken. Es ist daher nicht nur ein Gefährdungsfaktor in den Blick zu nehmen, sondern ihr Zusammenspiel, einschließlich der aus den konkreten Arbeitsbedingungen ergebenden psychischen Belastung der Beschäftigten.
Der § 4 Nr. 5–8 ArbSchG betrifft Maßnahmen auf der Ebene P (individuelle Schutzmaßnahmen, geeignete Anweisungen, Beachtung spezieller Gefahren für besonders schutzbedürftige Beschäftigtengruppen, Ausschluss von geschlechtsspezifisch wirkenden Regelungen, soweit nicht aus biologischen Gründen zwingend geboten).