Dr. Gero Dietrich, Dr. Angela Emmert
Rz. 919
Was eine "Betriebsänderung" ist, ergibt sich in erster Linie aus den in § 111 S. 3 Nr. 1–Nr. 5 BetrVG aufgezählten Maßnahmen:
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Einschränkung oder Stilllegung des Betriebs oder wesentlicher Betriebsteile, |
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Verlegung des gesamten Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen, |
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Zusammenschluss oder Spaltung von Betrieben, |
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Grundlegende Änderungen der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen, |
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Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren. |
Rz. 920
Die Beschreibung dessen, was unter den einzelnen Maßnahmen genau zu verstehen ist und wann sie vorliegen, würde den hier vorgegebenen Rahmen sprengen. Deshalb wird auf die einschlägigen Kommentierungen verwiesen. Es seien lediglich kurz die in der Praxis häufigsten Betriebsänderungen herausgegriffen und umschrieben.
aa) Betriebs(teil)stilllegung
Rz. 921
Eine Betriebsstilllegung bedeutet nach der ständigen Rechtsprechung des BAG die Aufgabe des Betriebszwecks unter gleichzeitiger Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft für unbestimmte, nicht nur vorübergehende Zeit. Eine Betriebsstilllegung findet ihren Ausdruck darin, dass der Arbeitgeber seine wirtschaftliche Betätigung einstellt.
Rz. 922
Auch die Stilllegung eines wesentlichen Betriebsteils ist eine Betriebsänderung. "Wesentlich" ist der Betriebsteil dann, wenn in ihm ein erheblicher Teil der Gesamtbelegschaft beschäftigt wird (quantitative Betrachtung). Dies ist der Fall, wenn die Anzahl der Mitarbeiter im Betriebsteil die Zahlenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG erreicht, wobei in größeren Betrieben mindestens 5 % der Gesamtbelegschaft in dem Betriebsteil tätig sein müssen. Ob auch dann ein "wesentlicher" Betriebsteil vorliegt, wenn seine Bedeutung für den Betrieb groß ist, die Zahlenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG aber nicht erreicht sind (qualitative Betrachtung), ist nicht abschließend geklärt. Das BAG hat diese Frage bisher jedenfalls in den entschiedenen Fällen stets verneint, ohne sie grds. zu entscheiden.
bb) Betriebseinschränkung durch reinen Personalabbau
Rz. 923
Allein die Entlassung von Arbeitnehmern ohne Verringerung der sächlichen Betriebsmittel kann eine Einschränkung des Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen darstellen. Erforderlich ist hierfür, dass eine größere Anzahl von Arbeitnehmern betroffen ist, deren Arbeitsplätze wegfallen sollen. Maßgeblich sind die Zahlen und Prozentangaben, die auch für die Anzeigepflicht bei Massenentlassungen nach § 17 Abs. 1 KSchG maßgeblich sind. Bei Großbetrieben ist eine Betriebseinschränkung i.S.d. § 111 S. 2 Nr. 1 BetrVG allerdings erst bei einem Personalabbau von 5 % der Gesamtbelegschaft gegeben.
Rz. 924
Praxishinweis
Die in § 112a Abs. 1 S. 1 BetrVG enthaltenen (im Vergleich zu § 17 Abs. 1 KSchG) höheren Zahlengrenzen sind nicht maßgeblich für die Frage, ob eine interessenausgleichspflichtige Betriebseinschränkung vorliegt; sie sind nur relevant bei der Frage, ob beim bloßen Personalabbau ein Sozialplan über die Einigungsstelle durch den Betriebsrat erzwungen werden kann. Ein Interessensausgleich muss deshalb auch dann "versucht" werden, wenn ein Sozialplan nicht erzwingbar ist, weil die Zahlungsgrenzen des § 112a BetrVG nicht erreicht werden.
cc) Verlegung des Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen
Rz. 925
Eine Verlegung ist jede, nicht nur geringfügige Ortsveränderung des Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen, die unter Weiterbeschäftigung der gesamten oder des größeren Teils der Belegschaft erfolgt. Entscheidend ist dabei, dass der Betrieb bzw. Betriebsteil auch am neuen Ort seine Identität wahrt. Ein Umzug innerhalb einer Gemeinde um 3 km kann bereits eine Betriebsverlegung darstellen, wenn sich z.B. die Anfahrtswege für die Mitarbeiter wesentlich ändern.
Rz. 926
Praxishinweis
In der Praxis bereitet die Abgrenzung zwischen der Betriebsverlegung und der Betriebsstilllegung häufig Schwierigkeiten. Denn wird die Belegschaft am neuen Betriebsort nicht weiterbeschäftigt, geht die Identität des bisherigen Betriebs verloren. In diesem Fall handelt es sich um eine Betriebsstilllegung mit einer anschließenden Neuerrichtung eines Betriebes. Ob die Belegschaft aber unter Wahrung der bisherigen Betriebsidentität weiterbeschäftigt werden kann, liegt häufig nicht in der Macht des Arbeitgebers, sondern die Arbeitnehmer entscheiden selbst, ob sie dem Betrieb bei einer Betriebsverlegung folgen. Die Unklarhe...