§ 2 Kollektivarbeitsrecht / aa) Allgemeines

Rz. 641

Das betriebliche Vorschlagswesen ist in § 87 Abs. 1 Nr. 12 BetrVG geregelt und zählt daher zur erzwingbaren Mitbestimmung. Es gewinnt in der betrieblichen Praxis an Bedeutung. Im Jahre 2010 gingen ausweislich einer Befragung von 163 Unternehmen mit ca. 2,33 Mio. Arbeitnehmern ca. 1,23 Mio. Verbesserungsvorschläge ein (gegenüber ca. 213.000 im Jahre 1978), was zu Prämien von ca. 130 Mio. EUR (Prämiendurchschnitt 170 EUR) geführt haben soll.^[1514] Im Jahre 2012 wurden 119 Mio. EUR ausgeschüttet bei durchschnittlich 74 EUR pro Prämie.^[1515] Das Mitbestimmungsrecht dient der gerechten Bewertung der Vorschläge und damit jedenfalls mittelbar der Entfaltung der Persönlichkeit der Arbeitnehmer. Sie sollen durch ein betriebliches Vorschlagswesen zur Teilnahme an der Gestaltung und Entwicklung ihres Arbeitsplatzes motiviert werden.^[1516] Prämien sind uneingeschränkt lohnsteuer- und sozialversicherungspflichtig.^[1517]

Rz. 642

Unter einem Verbesserungsvorschlag ist jede Anregung einzelner oder mehrerer Arbeitnehmer zu verstehen, welche nicht zum Bereich des vertraglich geschuldeten Leistungsumfanges des Vorschlagenden zählt, und zur Verbesserung gegenüber dem Ist-Zustand führt, wobei unerheblich ist, ob es sich insoweit um den kaufmännischen, technischen oder den Bereich der Zusammenarbeit untereinander handelt.^[1518] In der Praxis ist insbesondere die Abgrenzung zu dem vertraglich geschuldeten Bereich problematisch.^[1519] Ob sich der Verbesserungsvorschlag bloß auf den eigenen Aufgabenbereich des Arbeitnehmers erstreckt, dürfte unerheblich sein – entscheidend ist, ob eine arbeitsvertragliche Verpflichtung besteht, diejenigen Dinge zu entwickeln, die Gegenstand eines Verbesserungsvorschlages sind.^[1520] Maßgeblich ist im Zweifel der Wortlaut der Prämienregelung.^[1521]

Rz. 643

Erfindungen, die patent- oder gebrauchsmusterfähig sind, fallen nicht in den Regelungsbereich des § 87 Abs. 1 Nr. 12 BetrVG. Für sie gilt das Gesetz über Arbeitnehmererfindungen.^[1522] Da es abschließende Regelungen enthält, ist in dessen Anwendungsbereich kein Raum für eine Mitbestimmung des Betriebsrats.^[1523] Eine Besonderheit gilt für technische Verbesserungsvorschläge (§ 3 ArbnErfG). Sind sie qualifiziert i.S.d. § 20 Abs. 1 ArbnErfG,^[1524] besteht ein gesetzlicher Vergütungsanspruch, der wiederum das Mitbestimmungsrecht ausschließt, jedoch freiwillige Betriebsvereinbarungen nach § 88 BetrVG ermöglicht.^[1525] Für einfache technische Verbesserungsvorschläge lässt § 20 Abs. 2 ArbnErfG eine Regelung durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung zu, so dass bei Fehlen einer abschließenden tarifvertraglichen Regelung ein Mitbestimmungsrecht in Betracht kommt. Für Verbesserungsvorschläge außerhalb des technischen Bereiches sieht das ArbnErfG keine Einschränkungen oder Sonderregelungen vor.

[1514] Deutsches Institut für Betriebswirtschaft, dib-Report 2010, 1 ff.

[1515] Dib-Report 2013: http://www.dib.de/ideenmanagement/dib-reports.html. Aktuelle Zahlen sind nicht erhältlich, zumal das Dib ­Anfang 2017 seinen Betrieb einstellte.

[1516] BAG 28.4.1981 – 1 ABR 53/79, AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Vorschlagswesen; BAG 16.3.1982 – 1 ABR 63/80, AP Nr. 2 zu § 87 BetrVG 1972 Vorschlagswesen; ErfK/Kania, § 87 BetrVG Rn 128.

[1517] Schwab, NZA-RR 2015, 225, 229.

[1518] Fitting u.a., § 87 BetrVG Rn 539 f.; DKK/Klebe, § 87 BetrVG Rn 361 ff.; ErfK/Kania, § 87 BetrVG Rn 129.

[1519] ArbG Heilbronn 15.5.1986 – 4 Ca 136/8, DB 1987, 541; Fitting u.a., § 87 BetrVG Rn 541; DKK/Klebe, § 87 BetrVG Rn 364.

[1520] Zutreffend Rieble/Gistel, DB 2005, 1382.

[1521] BAG 19.5.2015 – 9 AZR 863/13, NZA 2015, 1468.

[1522] BGBl I S. 253; vgl. im Übrigen die einschlägigen Kommentare zum ArbnErfG.

[1523] MünchArbR/Salamon, § 329 Rn 3; Fitting u.a., § 87 BetrVG Rn 542; Schwab, NZA-RR 2015, 225, 227.

[1524] Zur Abgrenzung MünchArbR/Bayreuther, § 98 Rn 55 f.

[1525] Der Vergütungsanspruch nach §§ 9, 12 ArbnErfG ist insoweit abschließend, Fitting u.a., § 87 BetrVG Rn 544; Schwab, NZA-RR 2015, 225, 227.