Dr. Gero Dietrich, Dr. Angela Emmert
Rz. 1046
Im Falle eines identitätswahrenden Übergangs eines Betriebs(teils) ist eine kollektivrechtliche Fortgeltung beim Erwerber ohne Transformation der Normen möglich. Von einer solchen Wahrung der betrieblichen Identität ist zumindest auszugehen, wenn der Betrieb als Ganzes übergeht und nicht in eine fremde Betriebsorganisation eingegliedert wird; im Falle von Betriebsteilen, wenn diese als eigenständige Betriebe fortgeführt werden. Dies gilt auch, wenn beim Erwerber vorübergehend oder dauerhaft kein Betriebsrat gebildet wird.
Veränderte Umstände im Unternehmen des Erwerbers können zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage einer Betriebsvereinbarung und einem damit einhergehenden Anpassungsanspruch der Betriebsparteien führen. Existiert bereits eine Betriebsvereinbarung beim Erwerber, so kommt es, den gleichen Regelungsgegenstand vorausgesetzt, in der Regel zu einer Ablösung der Betriebsvereinbarung des Veräußererbetriebs durch die beim Erwerber geltenden Betriebsvereinbarungen. Eine Ablösung kommt hingegen nicht in Betracht, wenn die beim Erwerber geltende Betriebsvereinbarung sachlich begrenzt ist und sich nicht auf neue Betriebe erstreckt oder übernommene Arbeitnehmer nicht in den Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung fallen. Ob dies der Fall ist, muss durch Auslegung ermittelt werden. Die zur Ablösung führende Betriebsvereinbarung kann auch erst nach dem Betriebsübergang abgeschlossen werden. Das BAG judizierte ausdrücklich auch im Hinblick auf Betriebsvereinbarungen, weder aus der Scattolon-Entscheidung des EuGH noch aus der Unionen-Entscheidung des EuGH folge ein allgemeines Verschlechterungsverbot. Es bleibt abzuwarten, ob diese Rechtsprechung vor dem EuGH Bestand hat. Für die betriebliche Altersversorgung ist § 613a BGB Abs. 1 S. 3 BGB allerdings telelogisch zu reduzieren: Eine Betriebsvereinbarung des Veräußerers über betriebliche Altersversorgung wird nur bei Wahrung des sog. "Drei-Stufen-Schemas" durch eine Betriebsvereinbarung beim Erwerber abgelöst. Auch eine Ablösung durch einen Tarifvertrag ist bei gleichem Regelungsgegenstand grundsätzlich möglich. Bei Ablösung einer Betriebsvereinbarung über betriebliche Altersversorgung ist dann nicht das "Drei-Stufen-Schema" zu beachten, sondern es gelten die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit. Unsicherheiten über rechtliche Zweifelsfragen können durch eine trilaterale Überleitungsvereinbarung vermieden werden.
Die Graphik gibt eine Übersicht über die möglichen Konstellationen und ihre Folgen:
Rechtliches Schicksal von Betriebsvereinbarungen im Falle eines Betriebsübergangs |
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Identitätswahrender Übergang des Betriebs(teils), keine Eingliederung des Betriebs in die Betriebsstruktur des Erwerbers |
Aufgabe der Identität des Betriebs |
Art der Fortgeltung |
Ablösungsmöglichkeiten |
EinzelBV |
X |
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Unmittelbare Fortgeltung, keine Transformation |
Kollision mit Gesamt/KonzernBV des Erwerbers bei gleichem Regelungsgegenstand möglich; die Gesamt/KonzernBV des Erwerbers setzt sich durch |
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X |
Transformation nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB mit der Folge einer einjährigen Veränderungssperre, Normen verlieren aber nicht "kollektiv-rechtlichen Charakter" |
Liegt eine BV mit gleichem Regelungsgegenstand vor, geht diese nach § 613a Abs. 1 S. 3 BGB den transformierten Normen vor |
GesamtBV |
X |
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Übergang eines Betriebs: Unmittelbare Fortgeltung, GesamtBV wird zu EinzelBV |
Kollision mit Gesamt/KonzernBV des Erwerbers bei gleichem Regelungsgegenstand möglich, die Gesamt/KonzernBV des Erwerbers setzt sich durch |
Übergang mehrerer Betriebe als Gesamtidentität: Unmittelbare Fortgeltung, GesamtBV bleibt GesamtBV |
Erwerber hat keine Betriebe und übernimmt alle Betriebe: Unmittelbare Fortgeltung, GesamtBV bleibt GesamtBV |
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X |
Transformation nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB mit der Folge einer einjährigen Veränderungssperre, Normen verlieren aber nicht "kollektiv-rechtlichen Charakter" |
Liegt eine BV mit gleichem Regelungsgegenstand vor, geht diese nach § 613a Abs. 1 S. 3 BGB den transformierten Normen vor |
KonzernBV |
X |
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Erwerber gehört Konzern an: Unmittelbare Fortgeltung der KonzernBV als KonzernBV |
– |
Konzernfremder identitätswahrender Übergang eines Betriebs: Unmittelbare Fortgeltung, KonzernBV wird zu einer EinzelBV |
Kollision mit KonzernBV des Erwerbers bei gleichem Regelungsgegenstand möglich, die KonzernBV des Erwerbers setzt sich durch |
Konzernfremder identitätswahrender Übergang mehrerer Betriebe: Unmittelbare Fortgeltung, KonzernBV wird zur GesamtBV |
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X |
Wie im Falle von GesamtBVs |
Wie im Falle von GesamtBVs |