Dr. Gero Dietrich, Dr. Angela Emmert
Rz. 151
Das Mitbestimmungsrecht greift nach § 87 Abs. 1 ES BetrVG nicht, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung besteht. Denn existiert bereits eine Norm zum Regelungsgegenstand, ist der Arbeitnehmer hinreichend geschützt, sodass es der Mitwirkung des Betriebsrats nicht bedarf. Dies setzt freilich voraus, dass dem Arbeitgeber aufgrund der gesetzlichen Regelung kein Entscheidungsspielraum mehr bleibt. Es muss sich also um zwingendes Gesetzesrecht (förmliche Gesetze, Verordnungen, autonome Satzungen) handeln, welches eine abschließende Regelung trifft. Nach der Rechtsprechung kann die Mitbestimmung auch durch Verwaltungsakt eingeschränkt sein. Dieser sog. Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 ES BetrVG ist von dem sogenannten Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 BetrVG zu unterscheiden.
Hinweis
Daher besteht z.B. hinsichtlich der Frage, ob eine Beschwerdestelle i.S.d. AGG eingerichtet werden soll, kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates, da § 13 AGG eine entsprechende gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers vorsieht und damit insoweit eine abschließende Regelung darstellt. Nach der Rechtsprechung ist auch die Besetzung der Beschwerdestelle mitbestimmungsfrei; ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 I Nr. 1 BetrVG besteht aber hinsichtlich der Ausgestaltung des Verfahrens vor der Beschwerdestelle.
Auch hinsichtlich des "Ob" der Einführung eines betrieblichen Rauchverbots dürfte aufgrund der Existenz von § 5 Abs. 1 S. 2 ArbStättV ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates ausscheiden.
Rz. 152
Nach der Rechtsprechung schließen ausländische Vorschriften wegen des Territorialitätsprinzips die Mitbestimmungsrechte jedenfalls dann nicht als gesetzliche Norm aus, wenn keine wirksame (völkerrechtliche) Umsetzung in das deutsche Recht erfolgte.
Rz. 153
Auch die betriebliche Regelung selbst ist wiederum den Grenzen zwingenden staatlichen Rechts unterworfen (z.B. §§ 134, 138 BGB). Betriebsvereinbarungen unterliegen nach § 310 Abs. 4 S. 1 BGB zwar nicht den für Allgemeine Geschäftsbedingungen geltenden gesetzlichen Regelungen der §§ 305 ff. BGB. Die strengen Vorgaben zur Inhalts- oder Transparenzkontrolle nach § 307 BGB finden also keine Anwendung.
Rz. 154
Die Rechtsprechung nimmt aber eine Rechts- und Billigkeitskontrolle vor. Maßgeblich sind der Gleichbehandlungsgrundsatz und – insbesondere bei verschlechternden Betriebsvereinbarungen – Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit. Die Betriebsparteien haben jedoch einen recht weiten Beurteilungsspielraum hinsichtlich der tatsächlichen Voraussetzungen und Folgen der von ihnen gesetzten Regelungen.