Dr. Gero Dietrich, Dr. Angela Emmert
Rz. 241
Gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG besteht ein Mitbestimmungsrecht bei der "vorübergehenden … Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit." Damit sind hauptsächlich Überstunden gemeint. Von Überstunden ist Mehrarbeit begrifflich abzugrenzen. Überstunden sind die vorübergehende Verlängerung der vertraglichen Arbeitszeit, Mehrarbeit ist die Arbeitszeit, die über die gesetzlich zulässige regelmäßige Arbeitszeit hinausgeht. In der betrieblichen Praxis wird allerdings häufig nicht zwischen Überstunden und Mehrarbeit unterschieden. Auch für das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats spielt diese Unterscheidung keine Rolle.
Rz. 242
§ 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG spricht zwar von der Verlängerung der "betriebsüblichen" Arbeitszeit. Der dadurch zum Ausdruck gebrachte kollektive Bezug des Mitbestimmungstatbestandes ist durch das BAG aber weitgehend beseitigt worden, "betriebsüblich" ist nämlich die tarifliche oder geschuldete Arbeitszeit eines jeden Arbeitnehmers. Es muss sich also nicht um alle Arbeitnehmer oder eine Gruppe von Arbeitnehmern handeln; auf die Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer kommt es nicht an. Begründung: Bei jedem Arbeitsmehrbedarf muss der Arbeitgeber entscheiden, ob er eine Überstunde anordnet und welchen Arbeitnehmer er heranzieht. Nur dann, wenn eine Überstunde ausnahmsweise auf den Bedürfnissen und Wünschen eines Arbeitnehmers beruht und die Interessen anderer Arbeitnehmer davon nicht betroffen sind, entfällt das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Das ist so gut wie nie der Fall.
Rz. 243
Allerdings entspricht Arbeitszeit im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG nicht stets der vergütungspflichtigen Zeit oder der Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes. Vielmehr ist Arbeitszeit im mitbestimmungsrechtlichen Sinne die Zeit, in welcher der Arbeitnehmer verpflichtet bzw. berechtigt ist, seine vertraglich geschuldete Leistung zu erbringen. Dienstreisen gehören nicht dazu, mögen sie auch vergütungspflichtig sein. Bei der Anordnung von Dienstreisen außerhalb der Arbeitszeit handelt es sich also mitbestimmungsrechtlich nicht um Überstunden, sofern keine zusätzlichen Arbeitsleistungen zu erbringen sind. Keine Überstunden im mitbestimmungsrechtlichen Sinne sind ferner bloße Verschiebungen der Lage der Arbeitszeit (z.B. Mehrleistungen, die durch entsprechende Verkürzungen ausgeglichen werden), denn dadurch verlängert sich die Arbeitszeit nicht. Die Mitbestimmungspflicht ergibt sich in solchen Fällen aber aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG. Schließlich stellt es keine Überstunde im mitbestimmungsrechtlichen Sinne dar, wenn die in Dienstplänen festgelegte Arbeitszeit geringfügig überschritten wird.
Rz. 244
Das Mitbestimmungsrecht bei Überstunden ist, abgesehen von den gerade beschriebenen Einschränkungen, umfassend. Es greift auch dann ein, wenn Arbeitnehmer freiwillig Überstunden leisten oder der Arbeitgeber die Leistung von Überstunden nicht anordnet, sondern "nur" duldet. Das Mitbestimmungsrecht erstreckt sich darauf, ob und wie Überstunden geleistet werden und wer Überstunden leistet. Auch in Eilfällen muss der Betriebsrat vorher angehört werden. Nur in echten Notfällen – Naturkatastrophe, drohender Ausfall der IT, Eintritt gravierender Schäden etc. – kann der Arbeitgeber ausnahmsweise ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrats Überstunden anordnen.
Rz. 245
Diese umfassenden Mitbestimmungsrechte gelten jedoch nur für die in den Betrieb eingegliederten eigenen Arbeitnehmer. Für Leiharbeitnehmer ist grundsätzlich ein etwaiger Betriebsrat des Verleihers zuständig. Nur in bestimmten Fällen kann der Betriebsrat des Entleihers Mitbestimmungsrechte geltend machen, und zwar dann, wenn der Entleiher aufgrund einer Vereinbarung mit dem Verleiher von sich aus die Überstunden der Leiharbeitnehmer anordnet. Es kommt also darauf an, wer die Entscheidung über die Überstunden trifft, der Verleiher oder der Entleiher. Wenn es dagegen um die Festlegung von dem regelmäßigen Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen geht, hat der Entleiherbetriebsrat ein Mitbestimmungsrecht.
Rz. 246
Die Möglichkeit, bei betrieblichem Bedarf Überstunden anzuordnen, ist für nahezu alle Unternehmen und Betriebe extrem wichtig. So müssen etwa unerwartete Eilaufträge abgearbeitet, Krankheitsausfälle kurzfristig ausgeglichen, Verspätungen von Drittunternehmen abgefangen werden. Die vorherige Anhörung des Betriebsrats ist nicht immer möglich. Zudem hat ein streitlustiger Betriebsrat durch die Ablehnung von Überstunden ein gewisses Druckpotential, welches er für Koppelungsgeschäfte nutzen kann. Zumal er die Ablehnung von Überstunden nach überwiegender Auffassung nicht einmal begründen muss. Auch der Einwand des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Betriebsrats – etwa wenn der Arbeitgeber dringend auf die Überstunden angewiesen ist – sticht in der Regel nicht. Nur in besonders schwerwiegenden und begrenzten Ausnahmefällen kann dies doch ei...